Andreas Giesbert (Zauberwelten-Online): Lieber Daniel, du bist an dem ambitionierten Scriptorum-Projekt Aventurische Mode beteiligt. Stell dich uns doch einmal kurz vor. Wer bist du, welche Rolle hast du im Projekt und wie kamst du zum Schwarzen Auge?
Daniel Brinkmann: Hey Andreas. Mein Name ist Daniel Brinkmann und ich bin sozusagen der kreative Kopf hinter dem Projekt. Ich koordiniere alle, die am Projekt mitarbeiten, habe die Struktur dafür aufgestellt, verwalte den Discordserver, auf dem wir arbeiten, und bin sozusagen die letzte Instanz, was Entscheidungen angeht. Das Schwarze Auge spiele ich jetzt seit gut 6 Jahren und kam dazu über eine damalige Freundin, die noch Mitspieler*innen für ihre Onlinerunde suchte. Ich war neugierig und ehe ich mich versah, war ich in der Welt des Pen & Paper gefangen.
Andreas (ZW): Die Idee, ein Quellenbuch über aventurische Mode zu schreiben, ist sicherlich etwas ungewöhnlich. Meines Wissens ist es das erste Mal, dass eine Rollenspielwelt überhaupt so ein Produkt bekommt. Wie kam es denn zu der Idee?
Daniel: Ich weiß nicht, ob es sowas schonmal vorher gab, aber es ist mit Sicherheit eine etwas ungewöhnlichere Spielhilfe. Die Idee ist eigentlich recht simpel gewesen. Es gibt mehrere Communities für DSA bei Facebook und dort kommen in regelmäßigen Abständen immer mal wieder Fragen zur Kleidung von Spielercharakteren auf. Manchmal fürs LARP, manchmal für den P&P Spieltisch, aber das Thema kommt häufiger auf. Und immer wieder gab es – mehr oder minder scherzhafte – Kommentare dazu, dass es mal Zeit für ein Aventurische Mode würde. Und ich fand diese Idee gar nicht mal so schlecht. Pen & Paper ist etwas, das sehr sehr stark auf der eigenen Fantasie und auch der visuellen Vorstellungskraft basiert. Und dann mangelt es häufig schon an Ideen daran, wie man denn den eigenen Charakter anzieht und aussehen lässt. Das fand ich sehr schade.
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Andreas (ZW): Auf den ersten Blick setzt sich die Idee sicher der Kritik aus, eine bereits extrem detaillierte Welt mit noch mehr Details aufzufüllen. Das euer Buch auf 500 Seiten ausgelegt ist, gibt den Kritiker*innen recht. Was erhofft ihr euch von dem Projekt, wie kann das Buch eine DSA-Runde bereichern?
Daniel: Zuerst einmal sollte ich dazu sagen, dass das Buch niemals auf 500 Seiten ausgelegt war. Das hat sich einfach so entwickelt über die Zeit. Meine anfänglichen Kriterien waren, dass so 3–5 Seiten pro Region geschrieben werden sollten. Das erste Kapitel hat dies dann mit sage und schreibe 25 Seiten direkt gesprengt … Und dann folgten noch weitere, die so ambitioniert waren, es wurden mehr Kapitel und eines entwickelte sich zum anderen. Um auf die ursprüngliche Frage zurückzukommen: Ich denke, dass Aventurische Mode eine Runde in vielerlei Hinsicht bereichern kann. Es kann der Spielleitung dabei helfen, NPCs diverser und vielfältiger zu gestalten. Es kann Spieler*innen dabei helfen, ihre eigenen Charaktere mit mehr als nur den drei Hs (Hut, Hemd, Hose) auszustatten. Es hilft vielleicht auch Romanautor*innen, etwas mehr Detail in ihre Beschreibungen zu bringen oder gar LARPern, ihr Kleidersortiment zu erweitern.
Andreas (ZW): Wie kann ich mir die Arbeit an den Artikeln vorstellen? Arbeitet ihr euch systematisch durch DSA Publikationen durch und durchforstet sie nach Hinweisen zur Mode, oder bringt ihr eure eigene Kreativität mit ein?
Daniel: Eine Mischung aus beidem. Die Autor*innen versuchen immer ihr Bestes, so ziemlich alles, was an offiziellem Material existiert, zu sichten und mit einzubringen, sowohl Textmaterial als auch Illustrationen. Nicht selten passiert es dabei, dass sich Illustrationen und Texte widersprechen oder sich offizielle Setzungen über die Jahre erweitert / geändert haben. Aber wenn es nicht (teilweise sehr viele) Lücken gäbe, gäbe es keinen Platz und keine Notwendigkeit für Aventurische Mode. Viele Regionen wurden nie in ihrer Mode beschrieben, wieder andere ließen große Lücken in Beschreibungen. Deshalb spielt auch sehr viel eigene Kreativität und vor allem Recherchearbeit mit hinein. Die Regionen und Kulturen in DSA haben fast alle ein – häufig klar erkennbares – irdisches Vorbild, manchmal sogar mehrere. Dort schauen wir uns dann um und überlegen, wie und welche Dinge wir plausibel und stringent mit den existierenden Dingen übernehmen oder adaptieren können.
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Andreas (ZW): Habt ihr dabei auch Unterstützung durch die DSA-Redaktion?
Daniel: Unterstützung durch Ulisses haben wir kaum bis gar nicht. Gelegentlich sehen wir uns rechtlichen Fragen ausgesetzt, die dann via Mail oder Facebook-Nachricht an das Social-Media-Team gelöst werden, aber Unterstützung bekommen wir keine.
Andreas (ZW): Bei der Recherche bestehender Produkte dürften bei eurer doch sehr speziellen Fragestellung sicher auch einige Widersprüche oder kaum noch bespielte Kleidungsstücke aufgetaucht sein. Was war denn das Lustigste oder Bemerkenswerteste, das euch unterkam?
Daniel: Widersprüche gab es definitiv einige, ja. Der berühmt-berüchtigte Kettenhemdbikini und andere Relikte der 80er und 90er Jahre wurden bei uns definitiv bereits belustigt in die Brainstorm-Mülltonne geworfen. Schwierig war auch das Kapitel zum Svellttal. Innerweltlich ist es eine sehr abgelegene, zurückgeworfene Region mit recht veralteten Gesellschaftsstrukturen und kaum technologischem Fortschritt. Die Mode jedoch orientiert sich an der amerikanischen Siedlerzeit, ist also anderen – deutlich weiteren Kulturen und Regionen –, um einige irdische Jahrzehnte, zum Teil auch Jahrhunderte voraus. Bei der Recherche zu den eher archaisch lebenden Kulturen hat es auch sehr viele Leute überrascht, dass sich aus Innereien tatsächlich Leder herstellen lässt, welches extrem haltbar und nützlich ist. Viele hatten das nicht erwartet.
Andreas (ZW): Aventurien bedient sich zahlreicher bestehender Kulturen und ist noch vor einer Zeit entstanden, als man sich allzu viel Gedanken um respektvolle Repräsentation gemacht hat. Ihr kommt bei eurem Detailgrad sicher auch intensiv mit den realweltlichen Vorlagen in Kontakt, um Lücken zu füllen. Wie geht ihr damit um?
Daniel: Definitiv, ja. Sei es bei den Zahori, deren Vorbilder ganz klar bei Völkern wie den Sinti und Roma zu suchen sind, oder die Waldmenschen und Utulu, die zu großen Teilen Ähnlichkeiten zu den indigenen Kulturen Afrikas aufweisen; die Maraskaner, die eine ganz klare asiatische Anlehnung haben oder die Norbarden, bei denen sehr eindeutig jüdische Einflüsse eine große Rolle gespielt haben. Wie wir damit umgehen … Es lässt sich wohl mit „So respektvoll, wie es uns möglich ist” zusammenfassen. Das Thema ist ein einziges großes Pulverfass und während manche Menschen es in Ordnung finden, diese Vorbilder existieren zu lassen, wenn sie keine diskriminierenden Klischees bedienen, so wünschten andere sich, komplett die Finger davon zu lassen. Da Letzteres nicht möglich ist, da es sonst Aventurien nicht gäbe, haben wir uns dazu entschlossen, zu versuchen, die positiven Werte und Anlehnungen der jeweiligen irdischen Vorbilder hervorzuheben, ohne negative Klischees oder Ansichten zu reproduzieren. Wir möchten gerne die kulturelle Vielfalt widerspiegeln, die es auch irdisch gibt, und dabei das Positive hervorheben, ohne es zu werten oder in einem schlechten Licht dastehen zu lassen. Ein weiterer Gedanke, der uns in dieser Thematik umgetrieben und dazu veranlasst hat, es so zu handhaben, wie es nun ist, war der des „Wir wollen es richtig machen”.
Ein großer Kritikpunkt der kulturellen Aneignung ist der, dass kulturelle Merkmale aus ihrem eigentlichen Kontext gerissen werden und nichts mehr mit ihrem Ursprung zu tun haben. So passiert es durchaus auch in Aventurien. Wir wollen mit Aventurische Mode versuchen, diese Lücken ein wenig zu schließen. Dort, wo von offizieller Seite Lücken gelassen und Erklärungen versäumt wurden, wollen wir einen Kontext schaffen, in dem diese Dinge existieren können, ohne deplatziert zu wirken. Dass wir uns damit auf einem viel diskutierten Weg befinden, ist uns bewusst. Uns war es jedoch lieber, das Thema so anzugehen, als es beim Status Quo zu belassen. Dadurch, dass ganz Aventurien seine Vorbilder irgendwo in der realen Welt hat, wäre es also nicht möglich, eine solche Spielhilfe zu schreiben, ohne mit diesem Thema in Berührung zu kommen.
Andreas (ZW): In den letzten Jahren wurde neben Fragen um Repräsentation und Kulturelle Aneignung auch das Thema der Geschlechtergerechtigkeit immer lauter. Hat das auch eure Herangehensweise beeinflusst?
Daniel: Ja, gerade das Thema Geschlechtergerechtigkeit spielt für uns eine große Rolle. In unserem Lektoratsteam befindet sich auch ein Mensch, der sich als nonbinary identifiziert und ich bin im realen Leben auch mit einem Nonbinary-Menschen in einer Partnerschaft. Wir haben uns zu dem Thema viele Gedanken gemacht und sind letzten Endes auf eine Lösung gekommen, mit der wir so zufrieden sind, wie es möglich war. Das Buch wird – nach “offiziellem” Vorbild – abwechselnd männliche und weibliche generische Formulierungen verwenden. Unsere Lektor*innen sollen darauf achten, dass ein ausgewogenes Verhältnis zwischen generischem Maskulinum (wie z.B. „Die Seefahrer”) und Femininum („Die Einwohnerinnen”) herrscht. So ist es auch in offiziellen DSA-Produkten vorzufinden. Dazu werden wir allerdings ein ausgiebiges Vorwort schreiben, in dem beschrieben ist, dass es in DSA kaum Kleidungsstücke gibt, die tatsächlich nur einem Geschlecht vorbehalten sind. In einigen Kulturen (wie z.B. den Novadis (starkes Patriarchat) oder in Aranien (starkes Matriarchat)) spielt das Geschlecht noch eine Rolle, allerdings haben wir auch in diesen Kapiteln mit Nachdruck darauf geachtet, keines der Geschlechter in eine negative oder unterdrückte Rolle zu schieben, sondern versuchen, uns auf die Vorzüge dieser jeweiligen Gesellschaftsstrukturen zu fokussieren.
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Andreas (ZW): Da du bereits Non-Binarität angesprochen hast: Mode ist eine der zentralen Formen, um geschlechtliche Zuordnung zu zeigen und auszudrücken. Meines Wissens – und bei den Zwölfen, ich bin kein DSA-Experte – sind die meisten Kulturen in DSA klar zweigeschlechtlich strukturiert. Wie geht ihr mit Bewohner*innen Aventuriens um, die sich nicht so kleiden wie es die Gesellschaft von ihnen verlangt? Geht ihr auch auf Non-Binäre oder Transidentitäten ein?
Daniel: Nun … Dieses Thema ist ein noch schwieriger, als das Thema Gender Diversity an sich bereits ist. Offiziell wurden nonbinäre und transidente Menschen in Aventurien nur sehr wenig aufgegriffen. Es gibt – gerade in Wege der Vereinigung (ein sehr umstrittener Quellenband) – einige Beschreibungen von Menschen in einer einzigen Kultur Aventuriens, die zwischen den Geschlechtern oder außerhalb des Spektrums leben, sowie weitere kleine Hinweise darauf, dass das Thema in Aventurien eine Rolle spielt. Großflächig behandelt, explizit genannt oder jemals ausformuliert wurde es allerdings – meines Wissens nach – nie. Es gibt zwar bereits seit Jahrzehnten Meisterfiguren, die im anderen Geschlecht leben und sich so gebahren, dies hat aber nie den Grund, dass sie transident sind, sondern von der Gesellschaft oder äußeren Einflüssen dazu gezwungen werden. Aufgrund dieser Tatsache haben wir uns entschlossen, in den Kapiteln vorerst weiterhin binär zu bleiben, aber darauf zu achten, dass es nur sehr sehr selten vorkommt, dass Kleidungsstücke wirklich einem Geschlecht zugeordnet sind, wenn der offizielle Kanon das so vorgegeben hat. Darüber hinaus werden wir das Thema Transidentität und damit einhergehend auch Nichtbinärität sehr ausführlich in dem oben erwähnten Vorwort behandeln und dabei darauf eingehen, dass die von uns gewählte Art und Weise der Verschriftlichung nicht aussagen soll, dass Menschen außerhalb oder irgendwo zwischen dem binären Spektrum sich ausgeschlossen fühlen sollten. Es ist eine Gratwanderung, ich bin mir dessen bewusst, aber ich hoffe sehr, dass wir sie bewältigen können.
Andreas (ZW): Kommen wir aber noch einmal zu eurem Buch zurück. Wie ist der Zeitplan und in welcher Form wird es veröffentlicht? Kann man euch vielleicht sogar noch unterstützen?
Daniel: Der Zeitplan ist sehr grob gefasst. Da wir alle unentgeldlich und in unserer Freizeit daran arbeiten, gibt es keine Deadline per se. Mein Plan und Wunsch ist es allerdings, Aventurische Mode dieses Jahr noch zu veröffentlichen. Es wird im Scriptorium Aventuris veröffentlicht, der eigenen Vertriebsplattform für Fanprodukte von Ulisses. Dort wird es als PDF erhältlich sein zum „Pay what you want”-Preis. Die Erlöse werden zu 100% an einen guten Zweck gehen. Welcher genau das ist, muss allerdings noch festgelegt werden. Und unterstützen kann man uns definitiv. Wir suchen jederzeit noch weiter nach fähigen Lektor*innen und Illustrator*innen, die in der Lage sind, jeweils die fertigen Kapitel zu lektorieren und mit schönen Illustrationen zu versehen. Wie oben bereits genannt, können wir dafür jedoch leider keinen Obolus bieten.
Andreas (ZW): Dann bleibt mir abschließend nur, viel Erfolg zu wünschen. Wo kann man euch denn folgen und gibt es schon erste Leseproben?
Daniel: Folgen kann man uns per se nicht. Ich poste immer mal wieder bei Facebook in den größeren Gruppen Updates zum Projekt, aber es ist nicht so, das wir eine Social-Media-Präsenz oder ähnliches hätten. Leseproben gibt es definitiv! Die Kapitel zu den Norbarden, den Novadis und Gareth sind bereits fertig und können gerne vorab gelesen werden.
Wer Interesse an einer Mitarbeit hat, erreicht Daniel auf Discord (Mimir#0001) oder kann eine Mail an Andreas(ät)zauberwelten-online.de schreiben.
Dieser Artikel ist erschienen bei:
LARPzeit.de