Das 1984 in seiner ersten Version veröffentlichte und seitdem millionenfach verkaufte Rollenspielsystem Das Schwarze Auge (DSA) ist sicherlich das bekannteste deutsche Pen&Paper-Rollenspiel. Auch die Computerumsetzungen (zuletzt das vor kurzem erschienene Drakensang – Am Fluss der Zeit) sorgen bei Fans für Begeisterung. Aventurien, das Land, in dem die meisten Abenteuer in der Welt von DSA spielen, kann man aber auch im Live-Rollenspiel erleben.
DSA-Live-Rollenspiel hat mittlerweile viele begeisterte Anhänger, und es gibt zahlreiche Veranstalter und Vereine, die Live-Rollenspiele in Aventurien anbieten.
Höfisches Ambiente und Intrigen finden sich dabei genauso wie handfeste Auseinandersetzungen gegen das Böse. Einige Kampagnen sind inoffizielle aber dennoch liebevoll gestaltete Fan-Projekte. Darüber hinaus existiert auch das 2004 gegründete Aventurien-LARP-Projekt (seit 2013 Alveran-LARP e.V.). Hier haben sich mehrere Veranstalter zusammengeschlossen, die mit Brief und Siegel, also ganz offiziell mit Lizenz, Spiele mit DSA-Hintergrund veranstalten dürfen. Insgesamt sechs große Kampagnen mit unterschiedlichen Themen laufen derzeit unter ihrem Dach. Bei den meisten Spielen des Aventurien-LARP-Projekts gelten Regelwerke mit Fertigkeiten und Erfahrungspunkten, die an die Regeln des Tischrollenspiels angelehnt sind, andere Veranstalter bevorzugen ein punktefreies oder zumindest -armes Spiel.
Kleine aber feine Unterschiede
Aber was ist am DSA-Live-Rollenspiel anders als bei „normalen“ Live-Rollenspielen? Auf den ersten Blick unterscheidet es sich kaum von den typischen Fantasy-Live-Rollenspielen. Es gibt Zauberer, Krieger, Elfen, Zwerge und Priester, die in Aventurien Geweihte genannt werden. Die Helden kämpfen gegen Orks, böse Zauberer und finstere Dämonen.
Der Hauptunterschied gegenüber typischem Fantasy-LARP ist die einheitliche Spielwelt als Hintergrund. Die Teilnehmer haben bereits im Vorfeld ein detailliertes Bild von der Spielwelt, wodurch das Eintauchen in die Spielfigur leichter fällt, erklärt Martin Becker vom LARP-Aventurien-Projekt. Man könne sich zum Beispiel im Spiel auf Ereignisse beziehen, die sich außerhalb des LARPs in der Spielwelt Aventurien ereignet haben und in den Publikationen zum Pen&Paper-Rollenspiel beschrieben sind.
Die Mitspieler haben also eine gemeinsame oder doch zumindest sehr ähnliche Vorstellung von der bespielten Welt. Dabei gilt natürlich auch: Je besser alle Mitspieler über den DSA-Hintergrund Bescheid wissen, desto stärker können die Vorteile einer derart ausgearbeiteten Welt – von politischen Intrigen bis zu Konflikten um Weltanschauungs- und Glaubensfragen – zum Tragen kommen. Jeder Mitspieler weiß, was einen Rondra-Geweihten ausmacht, warum man einem Thorwaler besser nicht mit Walfängergeschichten beeindrucken sollte und wer der böse Dämonenmeister Borbarad ist. Außerdem fällt es leicht, Themen für in-time Unterhaltungen abseits des aktuellen Spiels zu finden. Man kann relativ problemlos von (fiktiven) Orten erzählen, mit denen die Mitspieler trotzdem sofort etwas Bestimmtes (im Positiven oder Negativen) verbinden können – und wenn es auch nur um Smalltalk über die neueste Mode in der aventurischen Stadt Grangor geht. Viel aventurisches Flair erzeugen außerdem Gespräche über die Geschichte des Kontinents (War dein Vater auch damals bei der Ogerschlacht dabei?).
Der Hintergrund dient Veranstaltern natürlich auch als Inspirationsquelle für die Gestaltung der Handlung. Das Setting eines Spiels kann in bekannten Gegenden Aventuriens angesiedelt sein und damit ein schönes Maß an Lokalkolorit oder vielleicht sogar eine ausführlich beschriebene Lokalgeschichte ins Geschehen einbringen. Außerdem nutzen viele Veranstalter und Spieler das offizielle Artwork, um Kostüme oder Requisiten zu gestalten, die für jeden Fan schon auf den ersten Blick Aventurien! schreien.
Typisch(e) LARPer
In mancher Hinsicht ist die aventurische LARP-Szene dann aber doch kaum von der nicht-aventurischen zu unterscheiden. Nur weil es mehr Hintergrundmaterial und Artwork gibt, heißt das nicht, dass es keine hitzigen Diskussionen um die „richtige“ Interpretation und Umsetzung von Charakterkonzepten gäbe. Auch die Frage, wie nah sich Plot und Orga an die ausgearbeiteten Vorgaben der Spielwelt halten sollten, beziehungsweise wie viel Gestaltungsspielraum Veranstalter haben, um „weiße Flecken“ Aventuriens mit Leben zu füllen, ist unter DSA-LARPern umstritten. Was bei dem einen Mitspieler ein spannendes Erlebnis erzeugt, mag beim anderen das Aventurien-Feeling zerstören.
Die auch häufig im normalen Fantasy-LARP diskutierten Geschmacksfragen, zum Beispiel wie fantastisch und episch ein Plot sein sollte (Geht es um Räuber, die Kaufleute überfallen haben, oder müssen die Helden gegen aventurische Erzbösewichte wie Pardona antreten?), finden ihren Weg nach Aventurien. Letztlich müssen Spieler also auch hier, wie überall sonst im LARP auch, sich unter den verschiedenen Veranstaltern und Spielergruppen diejenigen heraussuchen, die den eigenen Spielvorstellungen am Besten entsprechen.
Auf nach Aventurien?
Wer Lust hat, selbst einmal in aventurische Gefilde zu reisen, sollte sich unbedingt etwas Hintergrundwissen anlesen. So vermeidet man, in peinliche Fettnäpfchen zu treten wie etwa dem Praios-Geweihten am Nachbartisch von der Ausbildung als Schwarzmagier vorzuschwärmen. Insbesondere in der Kultur des Charakters, den man darstellen will, sollte man sich gut auskennen.
Bei der Charakterwahl gilt es zu beachten, dass DSA-Live-Rollenspiel sehr von den aventurischen Klischees lebt. Mitspieler freuen sich daher über liebevoll ausgearbeitete Vertreter der bekannten Völker und Professionen sicherlich viel mehr als über einen austauschbaren, mysteriös schwarz gekleideten Söldner, dessen Hintergrund sich darin erschöpft, dass seine Eltern von Orks erschlagen wurden. Manchmal wird die Charakterwahl auch von den Veranstaltern eingeschränkt. Ein stimmiges Setting für ein in der Wüste Khôm angesiedeltes Spiel mit Anlehnung an Geschichten aus Tausend und einer Nacht verträgt es möglicherweise nicht, wenn die Charaktere überwiegend aus den wikingerartigen Thorwalern bestehen.
Manche Veranstalter haben auch zahlenmäßige Obergrenzen für besonders beliebte Charakterklassen wie Magier und Geweihte festgelegt. Übrigens: Auf dem einen oder anderen Spiel kann man auch durchaus auf waschechte Autoren aus der DSA-Redaktion treffen. Glaubt man dem Gemunkel, dann haben manche Ereignisse von DSA-Live-Rollenspielen schon Eingang in die offizielle Geschichts- und Hintergrundbeschreibung gefunden. Um mitzuspielen solltet Ihr einfach über eine der oben aufgeführten Internetseiten Kontakt zu den Veranstaltern aufnehmen.
Text: Karsten Dombrowski
Dieser Artikel ist erschienen bei:
LARPzeit.de