Ende Oktober durften 130 Witcher Fans das mittlerweile sechste Abenteuer auf der Insel Geddes erleben. Die Insel liegt weit abseits des in den Büchern und Spielen beschriebenen Festlandes und bietet so einen gewissen Interpretationsfreiraum für die Orga, um zahlreiche interessante Szenarien für ihre fortlaufende Kampagne zu erschaffen. Dieses Mal lud der Baron von Geddes erneut in das Dorf Valdern ein, um dessen sechsjähriges Bestehen zu feiern. Doch diesem Fest waren nicht alle Inselbewohner zugeneigt...
Eine turbulente Anreise
Spielenden wurde die Option gegeben, zum in-time Start eine Anreise zu bespielen. Dazu waren mehrere Routen in unterschiedlicher Länge und Kampfintensität vorbereitet, aus denen gewählt werden konnte. Alle Anreisenden konnten jedoch schon ein oder mehrere Gefahren der Insel sehen. Seien es die rebellischen Scoia‘tael, ein mysteriöses Portal, die monströse Krabbspinne oder gemeine Banditen. Die Spielergruppen wurden an unterschiedliche Punkte im Wald geführt und mussten dann selbst ihren Weg ins Dorf finden, indem sie durch Sägespäne dargestellten Spuren folgten oder sich bei den Bewohnern der Insel durch fragten.
Dadurch erfuhr jeder Spielende, der sich für diese Option entschied – was die meisten waren – einen persönlichen Prolog, der in die Spielwelt von Witcher mit all ihren Gefahren und Konflikten einleiten konnte. Wer von der Wache am Tor von Valdern empfangen wurde, war bereits vollständig immersiert.
Willkommen in Valdern
Das Dorf Valdern – dargestellt von Bogenwald – wurde vor sechs Jahren vom Baron der Insel gegründet und von den Spielenden bereits auf vergangenen Cons bespielt. Die Wache der Insel Geddes sorgte auch in diesem Dorf für Recht und Ordnung, indem sie das Tor kontrollierten, den Zoll eintrieben, Verbrecher und Verdächtige im Gefängnis unterbrachten und durch die Gassen patrouillierten. Dabei wirkten sie zunächst eindrucksvoll und gut organisiert, doch wer einer Durchsuchung unterzogen wurde oder gar im Gefängnis landete, konnte sich das Lachen kaum verkneifen.
Ganz im Stil von Terry Pratchett sorgte die Wache nicht nur für Ordnung, sondern auch für Unterhaltung und das Wohlergehen der Gefangenen stand an oberster Stelle – schließlich sollte die temporäre Freiheitsberaubung zumindest out-time Spaß machen. Gefangene haben auf Geddes ein Recht auf eine Sitzgelegenheit, Verköstigung und Unterhaltung. Eventuell war in der Zelle auch ein Stück Kreide zu finden, dank welchem sich die kleinen und großen Verbrecher auf den Wänden verewigen konnten.
Doch nicht nur die Wache mit ihrem präsenten Spiel sorgte für viel Ambiente. Der Hehler bot allerlei Ware an – die vielleicht vor kurzem erst den Besitzer gewechselt hatte, die Barden füllten die Taverne mit Klängen aus der Heimat und die Erntemaiden brachten die Besucherinnen und Besucher in festliche Stimmung. Das Dorf lebte vom regen Treiben von Spielenden aller Art, seien es die Hexer auf der Suche nach Arbeit, die edle Gesandtschaft aus Nilfgaard, Soldaten und Söldner aus den Nördlichen Königreichen oder die weniger aufrichtigen Zeitgenossen aus den Gassen von Novigrad. Die Liebe zum Detail war an jeder Kleidung, in jedem Charakterkonzept und selbst auf dem Anschlagbrett des Dorfes zu sehen. Es fühlte sich an, als wäre man direkt in die Spielwelt von Witcher 3 getreten.
Doch zur Welt von Witcher gehören auch Gefahren und das Dorf barg auch andere Gefahren als einfache Verbrecher. In den Köpfen der Bewohner und Besucher breitete sich Angst, Trauer und Reue aus, die unnatürlich stark war. Ein Him suchte das Dorf heim und es lag an den Hexern, diesen zu bannen. Dargestellt wurde der Geist durch ein einfaches Lichtspiel. Die Spielleitung lief mit einem Holzausschnitt des Monsters und einer Taschenlampe umher und leuchtete die schattenhafte Gestalt an Wände und Zelte in die Nähe des befallenen Spielers. Dadurch, dass dieser Plot nur in der Dunkelheit stattfand, wirkte dieser einfache Trick besonders gut und löste viele schöne Spielmomente aus. Darüber hinaus zeigte die Orga, wie gut sie ihre Spielerschaft mittlerweile kennt, denn zusätzlich ging eine Spielleiterin umher und flüsterte den Spielenden schlechte Gedanken passend zu ihrem Charakter ins Ohr, die individuelle Charakterspielmomente förderten.
Die Gefahren der Insel
Doch nicht nur innerhalb des Dorfes gab es den ein oder anderen Grund zum Fürchten. Vor den Toren ging es heiß her. Die Lager der Spielenden wurden regelmäßig von rebellischen Elfen angegriffen und in den Wäldern lauerte die von anderen Elfen kontrollierte Krabbspinne. Moment, andere Elfen? Ja, denn so wie Witcher ist auch Geddes weder leicht zu durchschauen, noch schwarz und weiß. Zahlreiche Fraktionen und moralische Dilemmas gehören auf Geddes zur Tagesordnung. Da die Übersicht zu behalten und in jeden Plot involviert zu sein, war unmöglich.
Ähnlich wie in den Witcher Spielen wurden große Teile des Plots über Dokumente vermittelt, die überall zu finden waren, beispielsweise hinter dem geheimnisvollen Portal im Wald. Aus einem einfachen Bogen, der mit Kunstpflanzen und Lichterketten umwickelt war, entstand ein klar erkennbares Portal, welches zu einem schmalen, mit Teichfolie umhüllten Gang führte. Dieser wiederum war durch Steinwände unterteilt, aus denen einzelne Elemente herausgelöst werden konnten. In-time handelte es sich um die eingestürzten Reste eines Forschungslabors, in dem die Mauern durch einen Magier gesprengt oder von einem Archäologen eingerissen werden konnten. Darin befanden sich wichtige Plotgegenstände und jede Menge Dokumente, welche die Hintergründe des Plots weiter beleuchteten. Das Labor war jedoch von den Nachkommen der Krabbspinne befallen, die jeden infizierten, der das Portal betrat. Und auch die Scoia‘tael waren nicht begeistert, wenn die Spielenden versuchten, das Portal zu betreten und griffen diejenigen an, die vor dem Portal warteten. Die durch die kleinen Krabbspinnchen befallenen Abenteurer begannen nach Verlassen des Portals die Stimme der Krabbspinne zu hören und waren überzeugt davon, ihr helfen zu müssen. Die Parasiten – dargestellt durch kleine, aufgeklebte Plastikspinnen – mussten also zügig und nicht ohne gebührendes Drama entfernt werden.
Trotz seiner wenigen Quadratmeter bot allein dieses Portal also schon sehr viel unterschiedliches Spiel nicht nur für die wenigen, die es tatsächlich betraten, sondern auch für alle anderen, die sich um die Konsequenzen kümmerten. Es dient als sehr gutes Beispiel dafür, wie geschickt die Geddes Orga immer wieder unterschiedliche Spielbereiche verknüpft und Highlights für alle Arten von Spielenden erschafft.
Auch der Hehler in der Stadt verteilte fragwürdige und teils albern erscheinende Aufträge an die Unterschicht, die diese mit wechselhafter Begeisterung ausführte. Bis sich herausstellte, dass hinter dem Hehler ein düsterer Auftraggeber stand und jedes Bisschen Plot, egal wie ambientig es auch wirkte, am Ende relevant sein könnte und wirklich jeder Spielende zum großen Ganzen beitrug.
Die finale Schlacht fand im Kampf gegen die Krabbspinne statt und auch dort verteilten sich die Spielenden schnell auf unterschiedliche Bereiche. Die Krabbspinne musste besiegt werden, um nicht in Zukunft vom General der Elfen – dem großen Gegner dieser Con-Reiche – gegen die Spielenden eingesetzt werden zu können. Doch im Kampf würden sicherlich einige Kämpfer vom Gift der Spinne getroffen werden. Das Rezept für das Gegengift erforderte das Gift selbst, also wurde ein Plan geschmiedet: Ein tapferer Ritter aus Toussaint würde das Gift der Spinne mit seinem großen Schild abfangen. Ein Bote würde dann dieses Gift in eine Phiole füllen und zur Alchemistin bringen, die umgehend mit der Herstellung des Gegengifts anfangen würde. Dieser Teil des Plans ging auf, doch dann wurde es chaotisch. Die Scoia‘tael mischten sich in den Kampf ein und drängten die Spielenden auf die Krabbspinne zu. Krieger, Ritter und Söldner hielten daraufhin die Elfen fern, während Hexer, Sumpfschreiter und andere Monsterjäger die Krabbspinne umkreisten. Eine gut platzierte Bombe, einen Lähmungszauber und ein paar zielgerichtete Schläge später war die Spinne besiegt. Die Elfen zogen sich geschlagen zurück und die Spielenden triumphierend in das Dorf.
In der Endschlacht hatte die Orga wieder einmal die zahlreichen und unterschiedlichen Stärken der Spielenden gefordert und zur Zusammenarbeit gedrängt. Es war nicht für alle Spielenden möglich, gleichzeitig am selben Problem zu arbeiten, doch es gab genug Probleme, so dass jeder Spielende auf seine Weise zum gemeinsamen Sieg beitragen konnte. Vom Hexer bis zum Laufboten erfüllte jeder eine wichtige Aufgabe.
Um sicher zu gehen, dass eine solche Zusammenarbeit auch von Nöten ist und sich nicht eine handvoll übermächtiger Spieler auf eine begrenzte Anzahl von NSCs stürzen, sind die Plätze für mächtige Charaktere limitiert. An den Geddes Veranstaltungen dürfen nur bis zu drei Hexer und fünf Magier teilnehmen, deren Stärke dann allerdings auch deutlich hervorgehoben wird. Andere Monsterjäger, Kämpfer und Kundige können sich zwar aktiv am Monsterplot beteiligen, können jedoch nur das, was sie auch darstellen können.
Ein düsteres Finale
Nach dem Sieg über die Krabbspinne fand das wohlverdiente Erntedankfest statt. Die Stadt war dekoriert mit Kürbissen, die zuvor von den Spielenden gesammelt worden waren. Bunte Fähnchen wehten im Abendwind, die Erntemaiden riefen zum Tanz auf und selbst der Baron von Geddes ließ sich zum ein oder anderen Spiel hinreißen. Als Zeichen des angestrebten Friedens waren Vertreter der Scoia‘tael zum Fest eingeladen und jeder der das Dorf betrat musste seine Waffe niederlegen. Ein paar Momente des Friedens hüllten für kurze Zeit die kleine Stadt in ein Gefühl der Sicherheit. Doch dann wurde einer der elfischen Gäste vom Geist der uralten Elfenkönigin besessen und erklärte den Menschen den Krieg. Unruhe brach aus, die sich Panik wandelte, als bewaffnete Scoia‘taels aus den Gassen stürmten und das Dorf in Brand steckten. Die Stadtwache sorgte für einen geordneten Rückzug und brachte die aufgebrachten Menschen in das nächstgelegene Dorf, wo sie für die nächste Nacht Unterkunft finden würden.
Doch so chaotisch und gefährlich die Situation wirkte, war sie out-time nicht. Die Orga hatte die Angriffspunkte der Scoia‘tael genau geplant, so dass diese langsam bedrohlich, aber ohne große Kämpfe die Spielenden aus dem Dorf drängen könnten, während die NSCs der Stadtwache für Ruhe und Ordnung sorgen würden. Das Feuer wurde sicher durch flackernde Scheinwerfer und Rauchbomben dargestellt und das ganze Szenario durch Kampf- und Brandgeräusche aus Lautsprecherboxen untermalt. Während die Spielenden auf ihrer Flucht einen großen Bogen über das Gelände liefen, zogen sich die NSCs im Dorf schnell um und veränderten die Dekorationen im Dorf. Aus Elfen wurden Dorfbewohner, Möbel wurden verrückt und neue Dekorationen platziert. Als die verängstigten Spielenden also das „nächste Dorf“ erreichten, wurden sie von der dortigen Wache und den Dorfbewohnern freundlich empfangen. Auch der Baron musste fliehen und sich eingestehen, dass ein Frieden unter diesen Umständen nicht mehr möglich war – egal wie sehr er selbst es sich wünschte. Und so erklärte auch er unter Jubelrufen der Menschen den Elfen den Krieg.
Dieser Moment in dem im schwachen Schein der Laternen die blutrünstige Natur der Menschen – und Elfen – zum Vorschein kommt und die letzte Hoffnung stirbt, während man sich nicht sicher ist, ob die eigenen elfischen Freunde die Nacht überlebt haben, hat sich für mich so echt, so Witcher angefühlt, dass mir die Tränen kamen und ich vor der Orga nur meinen Hut ziehen kann. Davor, dass sie die Witcher Welt so sehr zum Leben erweckt haben und dass sie den Mut hatten, eine so drastische und dramatische Szene zu erschaffen.
Der Charakter im Mittelpunkt
Die Geddes Veranstaltungen leben vom Charakterspiel und erhalten dadurch eine besonders immersive Tiefe. Diese Tiefe erreichen die Veranstalter, indem sie nicht nur den Spielercharakteren, sondern auch den NSCs Ziele und Aufgaben geben. Viele der NSCs bespielen wiederkehrende Rollen, die nicht als prominente Festrollen angedacht waren. Durch die Interaktion mit den Spielern und die Ermöglichung der Orga, haben sich viele der Scoia‘tael zu Charakteren entwickelt, die sich nur durch die Anweisungen der Spielleitung noch von SCs unterscheiden lassen. Sie spielen Szenen für sich, schleichen sich in das Spielerlager ein oder stehlen Vorräte, die von Spielern unbewacht gelassen wurden. Sie verhandeln mit den Spielenden und knüpfen sogar Freundschaften, was die Tatsache, dass ein Konflikt zwischen den Seiten besteht umso schmerzhafter – und mehr Witcher – macht.
Auch gibt es selten für Plots die eine Lösung. Wenn Spielende eine gut durchdachte Möglichkeit finden, ein Problem zu lösen, dann findet die Orga einen Weg, diese in die Geschichte mit einzuflechten. Dabei achten sie dennoch darauf, dass keiner der Spielenden sich einen ungerechten Vorteil verschafft oder der Lore der Spielwelt widersprochen wird.
Darüber hinaus besteht bei Geddes Veranstaltungen die Möglichkeit, sich einen ganz persönlichen Plot schreiben zu lassen. Ob eine geheime Liebschaft mit einer Elfe, unangenehme Treffen mit Novigrader Banden oder die Suche nach einer legendären Waffe – die Orga macht es möglich und sorgt so dafür, dass die Spielenden ihre kühnsten Witcher Träume wahr werden lassen können.
Fazit
Ich habe Geddes nun das vierte Mal besucht und werde mir auch die kommenden Veranstaltungen nicht entgehen lassen. Der Plot ist so eng gewoben und die zahlreichen Bezüge zu vergangenen Ereignissen lassen die Welt real und lebendig erscheinen. Spielende haben durch ihre Entscheidungen Einfluss auf die Handlung und müssen mit den Konsequenzen leben, die sie geschaffen haben. Für Fans der Witcher Bücher und Spiele ist diese Con ein Muss!
Das nächste Mal lädt der Baron im Mai 2025 auf die Insel Geddes ein. Vom 1.5 bis zum 4.5.2025 können Spielende aus dem Witcher Universum herausfinden, ob ihre Entscheidungen aus dem vergangenen Jahr die richtigen waren..
Text: Micha Frank
Bilder: Devitha
Dieser Artikel ist erschienen bei:
LARPzeit.de