Verdammt, er hat mich erwischt. Fälschlicherweise hatte ich ihn für einen harmlosen, etwas heruntergekommenen Einwohner von GRL-8 gehalten, der irgendeine Frage stellen wollte. Seit der Übernahme des Distrikts durch den skrupellosen Megacorp-Konzern einige Stunden zuvor wirkte mein eigener Arbeitgeber Iagatomi auf viele besorgte Bürger plötzlich nur noch wie ein kleineres Übel. Die Anfragen nach Aufnahme in unseren Konzern häuften sich. Nun ja, nichts was einen einfachen Sicherheitsmann beschäftigen sollte. Leider entpuppte sich mein Gegenüber als fähiger (aber sicher nicht lizensierter!)
Magieanwender. Gleißendes Licht. Blitze in meinem Kopf. Innerhalb von Sekunden war mein Geist in großer Verwirrung.
Was war noch einmal meine Aufgabe? Klar, ich sollte unsere Konzernenklave während der sich ausbreitenden Unruhen vor Übergriffen schützen. Aber vor wem genau? Elfen? Waren das nicht je ne wunderschönen, unglaublich reichen Geschöpfe, denen man mit vorsichtiger Hochachtung begegnen sollte? Nein! Ich hasse Elfen! Ich muss Iagatomi vor ihnen schützen. Ich muss sie töten. (Auch meine eigenen Vorgesetzten? Nein! Doch! Vielleicht?!?)
Da war eines dieser Wesen. Direkt im Eingang unserer Zentrale! Langsam, Zoll für Zoll bewegte ich mein Sturmgewehr in Richtung dieses Feindes (mein Boss?). Irgendwas (mein Unterbewusstsein?) versucht es zu verhindern. Der Feind verschwand, ich konnte mich wieder der Straße zuwenden. Kein Spitzohr in Sicht. Oder doch? Plötzlich ist eines direkt neben mir. Ich muss es töten. Aber … es ist doch Jurojin, ein hohes Tier im Management unseres Konzerns und jemand, den ich insgeheim sehr verehre. Oder nicht? Egal. Ich muss es tun.
Ich muss … Mehr Licht, mehr Blitze in meinem Kopf. Eine wunderschöne, sanfte Stimme. Jona, Du musst mir nichts tun. Wir sind Freunde. Iagatomi ist Deine Familie. Alles ist gut. Hier ist kein böser Elf. Dann ein leichtes Zögern. Die Stimme wird noch ein wenig sanfter. Jona, aber ein böser Elf ist dort draußen. Dort vorne. Siehst Du ihn? Er will Iagatomi schaden. Er will mir schaden. Du möchtest doch nicht, dass er mir schadet, oder? Du musst mich beschützen. Töte ihn, Jona. Töte ihn für mich! Mein Geist wird wieder klar. Endlich. Dankbar schaue ich auf das wunderschöne Wesen, das mich von diesem Zauber befreit hat. Aber dann wird mein Blick hart. Niemand wird Jurojin etwas tun.
Dieser Elf muss sterben. Entschlossen umklammere ich mein Gewehr und lege an …
Gedankenaufzeichnung von Konzernmitarbeiter Jona Rappel, Iagatomi. Angefertigt durch Everlife im Rahmen des Prozesses um die vorübergehende Ausschaltung des Elfen **********. Subjekt bei der Entnahme verstorben. Akte geschlossen.
Cyberpunk mit Orks, Elfen und Magie in einer futuristisch-bösen Version unserer Welt umzusetzen – das ist das Setting der Greylight 2142-Cons, deren Auftaktveranstaltungen (nach zwei corona-bedingten Verschiebungen) im Mai 2022 Premiere hatten. Die Handlung spielte im Jahr 2142. Wie es typisch ist in diesem Genre, haben die Nationalstaaten ihre Bedeutung verloren und die Welt ist komplett unter die Kontrolle finanzstarker, miteinander rivalisierender Konzerne geraten. Zudem ist – ähnlich wie im Rollenspiel Shadowrun – die Magie in die Welt zurückgekehrt und versetzt einige ihrer Bewohner in die Lage, erstaunliche Dinge zu tun. Im Rahmen von genetischen Experimenten in Kombination mit Magie sind außerdem zwei neue menschliche Unterarten entstanden: Elfen und Orks. Schließlich spielt die menschengemachte Künstliche Intelligenz eine wichtige Rolle, in Form von Androiden, die nach und nach ein echtes Bewusstsein entwickeln. Viele interessante Ansatzpunkte also, um Konflikte und dramatisches Spiel zu ermöglichen.
Bespielt wurde das Leben in dem kleinen Distrikt GR-L8, der kurz vor der Übernahme durch einen der größten und skrupellosesten Konzerne stand. Im Vordergrund stand kein übergreifender, großer Plot, den man gewinnen oder verlieren konnte. Es gab stattdessen viele kleine charakterbasierte Geschichten rund um die Bewohner des Distrikts, die miteinander verwoben waren.
Düster-bunte Spielumgebung
Als Spielort fungierte eine Mehrzweckhalle aus den 1970er Jahren, mitten im Duisburger Stadtteil Rheinhausen-Bergheim, die sonst unter anderem als Kultur- und Konzertlocation genutzt wird. Für die beiden Spiele hatte die Orga sie mit Unterstützung zahlreicher freiwilliger Helfer über mehrere Wochen in ein heruntergekommenes, aber zugleich neon-buntes Viertel einer Cyberpunk-Metropole verwandelt. Trotz des überschaubaren Platzes ist das in beeindruckender Weise gelungen, und die optische Darstellung dieser futuristischen Welt dürfte deutlich am oberen Ende dessen liegen, was sich mit klassischen Larp-Finanzierungsmöglichkeiten (also über Con-Beiträge) umsetzen lässt. Rund um einen zentralen Platz gruppierten sich Konzernbüros, kleine Geschäfte und Lokale. Es gab einen (sehr kleinen) öffentlichen Park, ein (großes) Revier der örtlichen Sicherheitskräfte und verschiedene Ganggebiete.
Insbesondere der Kontrast zwischen den Versprechungen der Zukunft und der harten-düsteren Realität war sehr gut verdeutlicht. Auf der einen Seite gab es hübsche, saubere Konzernbüros und buntglitzernde Werbeclips, die rund um die Uhr auf einer Videosäule auf dem zentralen Platz liefen. Andererseits war die Szenerie dominiert von hohen Wänden voll von zynischen Graffiti-Parolen, Gangzeichen und Fahndungsplakaten, und überall zeigten sich Spuren von Verfall und Vernachlässigung.
Was ebenfalls sehr zum Spielgefühl beigetragen hat, war die App, die extra für Greylight 2142 erstellt worden war und die alle Teilnehmer auf ihren Smartphones installieren konnten. Über sie ließ sich der Kontostand des Charakters verwalten, man konnte Waren und Dienstleistungen (oder Schmier- und Schutzgelder) bezahlen, anderen Charakteren Nachrichten zukommen lassen oder die aktuellen News im Distrikt lesen. Dabei thematisierte die App auch die Schattenseiten der futuristischen Welt, hatte man doch immer das Wissen um ihre totale Überwachung und Manipulierbarkeit im Hinterkopf.
Rassismus und Unterdrückung
Wichtige Spielthemen, die sich durch viele der Geschichten und Charakterhintergründe zogen, waren Rassismus und Unterdrückung. Sie zeigten sich besonders plakativ am Beispiel der Orks, die als Ergebnis fehlgeschlagener magisch-genetischer Experimente entstanden waren und meist ein Dasein am Rande der Gesellschaft fristeten, misstrauisch beäugt von normalen Menschen und häufig Opfer von Willkür und Polizeigewalt. Auch einzelne Orks, die es geschafft hatten, dem Elend zu entfliehen und die zum Teil gesellschaftlich hoch angesehene Tätigkeiten hatten, wurden von anderen Bürgern (und anderen Orks) immer mit Misstrauen betrachtet und waren häufig subtilen Anfeindungen ausgesetzt.
Ebenfalls in dieses Feld fiel der Umgang mit erwachten Androiden und der Frage, welche Rechte künstlich geschaffene, aber mit einem echten eigenen Bewusstsein ausgestattete Lebensformen haben und wie man sie behandeln soll. Ihr freier Wille stand im Widerspruch zu den Interessen ihrer Besitzer, sie zu freiwilligen Verträgen zu nötigen, um sie weiter ausbeuten zu können. Dabei ging es ihnen aber kaum anders als den übrigen Bewohnern des Distrikts, die ebenfalls in vielfältigen Abhängigkeiten gefangen waren. Letztlich waren sie alle nur Spielball größerer Interessen der Megakonzerne, die versuchten, jeden unter eine möglichst umfassende Kontrolle zu bringen und gewinnbringend auszubeuten oder – wenn das nicht möglich war – kostensparend loszuwerden.
Organisatorische Details
Eine Besonderheit war der internationale Ansatz. Die Orga wollte nicht nur deutsche Spieler ansprechen, daher wurde als Veranstaltungssprache für beide Runs Englisch gewählt. Im Ergebnis gab es tatsächlich auf beiden Spielen zahlreiche Teilnehmer aus dem Ausland, und die Kommunikation hat im Spiel überwiegend gut funktioniert, auch wenn manche Teilnehmer bisweilen untereinander Deutsch gesprochen haben.
Die Charaktere waren entweder komplett von der Orga erstellt oder gemeinsam mit den jeweiligen Spielern entwickelt worden und eng mit anderen Charakteren verknüpft. Alle hatten dadurch unterschiedliche Verpflichtungen und Loyalitäten, von denen einige mal mehr, mal weniger im Konflikt miteinander standen. Das Spiel lief nicht durchgehend, sondern wurde während der Nacht unterbrochen. Die Unterbringung war etwas spartanisch gelöst: in Form von Stockbetten in einem Großraumzelt. Optional konnte man sich einfach selbst (und auf eigene Kosten) ein Hotelzimmer oder AirBnB in der Umgebung suchen. Verpflegung und alkoholfreie Getränke waren im Preis inklusive und entweder bei einer out-time Ausgabestelle oder – während der Spielphasen – in-time bei verschiedenen Spieleinrichtungen erhältlich. Es gab beispielsweise eine Nudelbar und ein kleines Restaurant mit Bar. Das Essen war einfach, aber gut und auf jeden Fall genug, um alle hungrigen Teilnehmer satt zu bekommen.
Fazit und Ausblick
Ein tolles Spiel und eine beeindruckende Orgaleistung – so lässt sich das Fazit auf den Punkt bringen. Sowohl inhaltlich als auch organisatorisch gab es vielleicht kleinere Schwächen, die bis zum nächsten Spiel behoben werden könnten, aber die taten dem Erlebnis keinen Abbruch. Greylight 2142 ist vermutlich eines der ambitioniertesten Cyberpunk-Larp-Projekte aller Zeiten, und dieser Auftakt macht auf jeden Fall Lust auf mehr. Wer auf dem Laufenden bleiben möchte, sollte die Webseite der Veranstaltungsreihe im Auge behalten oder der Orga auf Facebook folgen.
Text: Karsten Dombrowski
Bilder: Hagen Hoppe
Dieser Artikel ist erschienen bei:
LARPzeit.de