Deutschland, 1926: Für die Öffentlichkeit war Dr. Mannhart vieles: ein bekannter Wissenschaftler, ein erfolgreicher Berliner Unternehmer, ein hochgeehrter Held des Großen Krieges, ein Förderer der schönen Künste. Doch alle, die sich an diesem Wochenende in seiner Villa versammeln, wissen, dass er vor allem eines war: der unangefochtene Herrscher über die Berliner Unterwelt. Abseits des Großstadttrubels sind Verbrecher, Künstler und Persönlichkeiten der Gesellschaft zusammengekommen, um seinen Tod zu betrauern, sein Leben zu feiern und seine zwielichtigen Geschäfte neu zu regeln. Doch wer wird das Erbe antreten? Wie kam es überhaupt zu Mannharts plötzlichem Ableben? Und wer steckt hinter dem Phantom, das nur als Die Spinne bekannt ist?
Das von Filmen wie Der Pate, The Great Gatsby und M inspirierte Gangstercon hatte im Dezember 2019 seine Premiere. An zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden wurde das Larp einmal auf Englisch und einmal auf Deutsch gespielt. Anhand eines mehrstufigen Befragungsformulars bekamen die Spieler ihre Rollen im Vorfeld zugeteilt. Dabei gehörte jeder Charakter einer Fraktion an, hatte Ambitionen, die er verfolgte, aber auch Feinde und Hindernisse, die es aus dem Weg zu räumen galt.
Der Ort des Geschehens war der Landsitz des verstorbenen Verbrechergenies Augustus Mannhart, dessen überraschender Tod nicht nur eine zielstrebige Witwe und zerstrittene Kinder hinterließ, sondern auch ein Verbrecherimperium mit ungeklärter Nachfolge. Um sich dieser Angelegenheit anzunehmen, folgten die Familie, Mitglieder verschiedener Ringvereine (siehe unten), Politiker, Künstler und andere Persönlichkeiten der Gesellschaft der Einladung seines Notars. Wie es Mannharts letzter Wunsch war, sollten die Anwesenden aus ihren Reihen einen Nachfolger bestimmen. Diese versuchten zusätzlich die Gunst der Stunde zu nutzen, um ihre dubiosen, wenngleich nützlichen Kontakte zu pflegen, alte Rechnungen zu begleichen oder die eigene Machtposition auszubauen (was unter Gangstern selten friedlich geschieht …).
Hintergründe, Plot und Charakterverflechtungen
Durch die vorgegebenen Hintergründe ließ sich eine hohe Verknüpfungsdichte zwischen einzelnen Charakteren kreieren. Das ermöglichte intensives Spiel mit komplexen Verkettungen und Überraschungen.
Gleichzeitig war vieles, was im Hintergrund der Rollen verankert war, nur ein Angebot, das den Spielern genügend Raum für kreative Umsetzungen und Entfaltungen ließ. Wenn zum Beispiel in der Rollenbeschreibung stand, dass man irgendwie in den Besitz eines mit Drogen gefüllten Koffers gekommen sei, war es freigestellt, was man im Spielverlauf mit diesem Koffer anfing. Als Teilnehmer hatte man zu keiner Zeit das Gefühl, sich in einer (fremd-)bestimmten Art und Weise verhalten zu müssen, um das Spiel nicht zu blockieren.
Generell war der Plot nicht darauf ausgelegt, von den Spielern nach dem Time-in erstürmt zu werden, sondern entwickelte sich kontinuierlich mit dem Auftauchen neuer Anreize und Informationen. Das geschah zum Beispiel durch Bedienstete, die den Charakteren an sie adressierte Nachrichten und Päckchen aushändigten, sowie durch Telegramme. Jeder Spieler konnte Personen aus seinem Hintergrund (verkörpert durch die Spielleitung) anschreiben und diesen zum Beispiel Anweisungen erteilen oder neue Informationen zutage förderten.
Gewalt und Eskalation
Es ist jedem bewusst, dass ein Zusammentreffen der mächtigsten Ringvereine, gepaart mit skrupellosen Charakterzügen und Interessenskonflikten nicht mit einem freundlichen Kaffeekränzchen ausklingt. Um zu verhindern, dass die Spieler durch Morde zu früh aus dem Spiel genommen wurden, war die Veranstaltung in vier Akte unterteilt, die jeweils ein anderes Level der maximal erlaubten Gewalt definierten (von Anschreien und Ohrfeigen, über Zusammenschlagen und mit Waffen bedrohen bis hin zu Tödlicher Gewalt). Jeder neue Akt wurde unterschwellig mit einer Pianoversion des Songs Gangsta‘s Paradise eingeleitet und stellte eine neue Eskalationsstufe dar.
Und wenn man als Gangster schon jemanden erledigen will, dann natürlich stilecht mit einer Waffe. Doch die wurden nur von der Orga ins Spiel gebracht und waren ausschließlich am Spielort zu finden. Dadurch blieben sie etwas Besonderes und brachten den Träger in eine mächtige Position. Primär sollten die Schießeisen und Messer aber nicht zur Beendigung des Spiels durch Mord führen, sondern spielfördernd wirken, indem ein unbewaffneter Spieler den Anweisungen eines bewaffneten Spielers Folge zu leisten hatte.
Ein Problem, das sich im Gangster-Larp ergibt, sind Darstellung und Einsatz der Mittel, die den einzelnen Charakteren eigentlich zur Verfügung stünden. Aber wie möchte man, ohne eine NSC-Horde anzuheuern, Schlägertrupps darstellen, die groß genug sind, um ganz Berlin zu kontrollieren? Die Orga begegnete diesem Problem mit einer Karte, auf der die verschiedenen Gebiete der Ringvereine abgesteckt waren.
Die Spieler konnten per Telegramm einen Vertrauten ihres Ringvereins kontaktieren und ihm mitteilen, dass sie zum Beispiel das Hauptquartier eines anderen Vereins überfallen wollten oder sich mit jemandem verbündet hatten. Je nach Verlauf der Ereignisse veränderten sich die abgesteckten Territorien.
Ambiente und Spiel
Obwohl es teilweise große Unterschiede im Niveau der Kostüme gab, sorgte die 1909 gebaute Villa mit stilechtem Interior für eine hohe Immersion. Besondere Details wie eine Filmpräsentation, Zeitungen und Briefköpfe nach historischer Vorlage, funktionierende Grammophone und der Auftritt einer Burlesque-Tänzerin verdichteten das Ambiente. Wem das nicht genügte, konnte sich mit im Preis inkludierten Cocktails schön trinken, was ihn störte.
Die Eskalationsstufen wurden von den Spielern gut angenommen, und in beiden Durchläufen gab es starke Szenen. Was interessant war, waren die teilweise unterschiedlichen Spielarten im deutschen und englischen Durchlauf. Während die internationalen Spieler ihre Fehden überwiegend im Kleinen untereinander austrugen, gab es im deutschen Run eine eher demokratische Dynamik, bei der man Probleme gemeinsam zu lösen versuchte.
Fazit
Wer eine Affinität für die Gangsterwelt, den Glanz der zwanziger Jahre und intrigenreiches Charakterspiel hat, für den ist Immertreu ein heißer Tipp. Trotz der hohen Ansprüche eignet sich das Con für Anfänger, auch wenn man vorher noch gar keine Erfahrungen im Larp gesammelt hat.
Text: Luisa Schlumbohm
Bilder: Patrick Wichert (Picturetime), Karsten Dombrowski
Ringvereine
Die Ringvereine der 1920er Jahre sind ein faszinierendes Thema. Überall auf der Welt und zu allen Zeiten haben Verbrecher Banden gebildet, um sich gegenseitig zu unterstützen und ihre Geschäfte zu fördern. Selten jedoch haben organisierte Kriminelle so offen und derart von Behörden und Gesellschaft respektiert agiert wie im Berlin der Zwischenkriegszeit.
Für eine Weile beherrschten diese als ordentliche Vereine organisierten Gentleman-Gauner (als die sie sich selbst gerne sahen und inszenierten) die Unterwelt der Stadt.
Heutzutage sind die Ringvereine und ihre Mitglieder fast in Vergessenheit geraten, genau wie ihre – oft brutalen und alles andere als gentleman-mäßigen – Verbrechen. In ihrer Blütezeit erlangten die Ringvereine jedoch großen Ruhm und inspirierten zahlreiche Geschichten, die sie romantisierten oder verurteilten.
Lust mitzumachen? In diesem Jahr findet Immertreu vom 18. bis 20. Oktober (Deutsch) und vom 25. bis 27. Oktober (Englisch) statt. Für beide Runs gibt es noch Tickets die ihr hier erhaltet. Mit dem Buchungscode LARPGANOVEN2024 erhaltet ihr außerdem einen Rabatt von 50,- Euro auf den Ticketpreis.
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LARPzeit.de