Odyssey ist ein britisches Live-Rollenspiel, das in einer mystischen Version der klassischen Antike unserer realen Welt spielt. Erdacht und im Jahr 2010 umgesetzt vom professionellen LARP-Veranstalter Profound Decisions ist es das neueste Großcon in Großbritannien. Die Organisatoren können sich auf einen reichen Erfahrungsschatz stützen. Im Folgenden beschreibt Matt Pennington, Games Manager bei Profound Decisions, das Spielprinzip.
Odyssey unterscheidet sich in vielen Punkten von anderen Live-Rollenspielen. Der vermutlich wichtigste Unterschied ist das Setting, das stark von traditionellen Fantasy-Welten abweicht. Bei uns kämpfen Mächte wie Griechenland, Rom, Persien, Ägypten und Karthago um die Vorherrschaft, und das vor einem Hintergrund, der von Filmen wie 300 und Gladiator, aber auch durch den klassischen Autor Homer und der Realgeschichte inspiriert wird.
Auch die klare Fokussierung auf die Handlungen der Spieler macht unser Konzept ungewöhnlich. Wir sind darauf spezialisiert LARPs zu veranstalten, in denen die Spieler großen Einfluss auf die Entwicklung innerhalb der Spielwelt haben. Auch Odyssey basiert sehr stark auf diesem Prinzip und stellt die Spieler in den Vordergrund. Im Hintergrund lauern auf sie Götter, Monster, Mythen und Magie. Die Geschichten, die die Spieler durch ihre eigenen Handlungen schreiben und vorantreiben, werden allerdings zusätzlich von zahlreichen Plotautoren begleitet, die alle Register der klassischen Mythologie ziehen, um Taten heroischer erscheinen zu lassen. Unser Ziel ist es, Epen zu schaffen, und alle, die das wollen, zu Helden zu machen.
Wer beherrscht den Mittelmeerraum?
Im Mittelpunkt von Odyssey steht das Große Spiel, der Kampf um die Vorherrschaft über die Länder des Mittelmeers. Um Erfolg in diesem Spiel zu haben, sind Diplomatie und Loyalität, aber auch allerlei hinterhältige Verschwörungen und der sorgfältige Gebrauch von Magie und das Beachten der Worte der Götter gefragt. Die wichtigste Bühne für diese Auseinandersetzung ist eine riesige Gladiatorenarena, ein Bauwerk, in dem sich Champions bekämpfen und die Menge jubelt, während das Schicksal von Nationen entschieden wird. Die Arena ist auch ein toller Platz für alle, die gerade nicht anderweitig im Spiel beschäftigt sind. Hier ist immer etwas los: Herausforderungen zwischen den Nationen werden ausgefochten, es gibt Gladiatoren- und Monsterkämpfe und sogar klassische Theaterstücke.
Zusätzlich zu den Schlachten bietet Odyssey viel Politikspiel, wenn Priester und Kriegsherren planen, wen und wo ihre Nationen angreifen sollen, und Philosophen die Magie manipulieren. Das Spiel verfügt dabei über zahlreiche Locations, die nur denen offen stehen, die dem entsprechenden Pfad folgen. Priester werden in die Kammer der Götter gerufen, um diesen von Angesicht zu Angesicht zu erklären, warum eine Stadt verloren gegangen ist oder um von einem triumphalen Sieg zu berichten. Philosophen reisen in die Weltenschmiede, um mächtige Rituale durchzuführen und miteinander um die Kontrolle über die Magie zu ringen. Jedes Element des Spiels beeinflusst die anderen Elemente und wird wieder von diesen beeinflusst, und jeder Charakter hat seinen speziellen Platz.
Ein wichtiges Spielelement sind dabei Münzen, die durch Aktionen im Spiel gewonnen werden können, beispielsweise für erfolgreich absolvierte Questen oder den Sieg in der Arena. Die sorgfältige Verteilung und Verwendung des Gruppenreichtums ist ein wichtiger Teil des Spiels.
Er kann unter anderem als Opfer gebracht werden, um den Segen der Götter zu erflehen oder einem Philosophen als Bezahlung für eine mächtige Verzauberung gegeben werden. Wir sind besonders stolz auf das Ambiente auf unserem Spiel. Da ist zum Beispiel die schon erwähnte hölzerne Arena mit knapp 200 Sitzplätzen. Außerdem gibt es keine out-time-Zelte auf dem Spielfeld, auch wurde versucht, alles zu verbannen, was nicht zum Spiel gehört … zumindest soweit praktikabel.
Um einen stimmigen Kostümstil zu ermöglichen, gibt es einen Kostümleitfaden, der deutlich zeigt, welche Gewandung angemessen ist. Wir haben zudem Anleitungen veröffentlicht, um diese Kostüme auch mit einem knappen Budget verwirklichen zu können. Die Spieler orientieren sich daran und betreiben wirklich einen großen Aufwand, um sich gegenseitig zu übertreffen und gemeinsam ein tolles Ambiente zu gestalten.
Unser Ziel ist, dass jede Nation einzigartig aussieht: Römer tragen dementsprechend Lorica, Griechen muskelbetonte Brustpanzer, Karthager sind in Felle gekleidet und so weiter. Allerdings ist es ja ein mystisches Setting, das heißt, wenn sich etwas richtig anfühlt und eine tolle Optik auf dem Schlachtfeld ergibt, pfeifen wir auch schon mal auf historische Vorlagen.
Fünf Wege zum Ruhm
Jeder Spieler wählt einen von fünf Wegen: Begleiter, Champion, Philosoph, Priester oder Heerführer. Unser Ziel ist es, im Spiel einen Platz für verschiedene Spielvorlieben zu bieten. Wir ermutigen die Teilnehmer, das Pfadsystem dazu zu verwenden, uns Organisatoren zu vermitteln, welche Art von Spiel sie erwarten. Es gibt Politik für Menschen, die Politikspiel mögen, Kämpfe für actionorientierte Mitspieler, eine Welt, die es zu verstehen gilt, für diejenigen, die eine intellektuelle Herausforderung suchen, und emotionale Momente für jene, die das Spiel mit Emotionen genießen. Die Rollen der fünf Pfade sind eng miteinander verwoben, so dass sich möglichst viele Möglichkeiten für tiefgehendes Rollenspiel ergeben.
Der Weg des Begleiters ist für diejenigen gedacht, die Charaktere mit niedrigem Status bevorzugen oder sich nicht auf einen der anderen Wege festlegen wollen. Es ist allerdings auch der Weg, bei dem sich Raum für besonders ausgefallene Konzepte findet, etwa als antiker Theaterschauspieler oder Veranstalter von Gladiatorenkämpfen. Begleiter können darüber hinaus alle Bereiche des Spiels betreten, das heißt, sie können Charaktere anderer Wege in deren spezielle Plotlocations begleiten (zumindest wenn diese sie mitnehmen) und ihnen assistieren.
Champions bestreiten blutige Kämpfe in der Arena. Der Sieg in diesen Schlachten bestimmt darüber, wer die Kontrolle über den Reichtum und die Ressourcen von Ländern und Städten erringt, von den Tempeln Griechenlands bis zu den Wüstenregionen Afrikas. In der Arena zu siegen, bringt handfeste Vorteile in späteren Spielen: Wer die Schlacht um eine reiche Stadt für sich entscheiden konnte, dessen Gruppe erhält bei der nächsten Veranstaltung von dieser Stadt Tributzahlungen.
Philosophen rütteln an den Grundfesten des Seins. Sie studieren, wie die Welt funktioniert, und manipulieren sie, um den Zielen ihrer Nationen zu dienen – oder auch ihren eigenen. Als Alchemisten führen sie Rituale durch und bereiten Tränke zu, mit denen sie die Natur der Welt verändern können. Andere sind Ärzte, die versuchen, das Gleichgewicht zwischen den vier Körpersäften des Menschen herzustellen oder zu verändern, um die Kranken und Verletzten ihrer Nation zu heilen. Darüber hinaus sind große Zauber möglich, mit denen ganze Nationen gestärkt oder Königreiche zu Fall gebracht werden können.
Priester vermitteln zwischen den Sterblichen und den Göttern. Die Götter selbst setzen nur selten ihren Fuß in die Welt, stattdessen rufen sie die Priester in ihre Hallen, um ihnen ihre Befehle und Gebote zu verkünden und Rechenschaft für das Verhalten ihrer Gläubigen zu fordern. Jede Nation hat dabei ein eigenes, einzigartiges Pantheon, das auf klassischen Mythen basiert. Wie zu erwarten heißt das natürlich auch, dass die Götter in jedem Pantheon untereinander Kämpfe ausfechten und dabei sterbliche Agenten einsetzen. Priester zu sein bedeutet also nicht einfach nur das zu tun, was die Götter befehlen – es geht um die Abwägung widerstreitender Diktate eines ganzen Heeres von Göttern.
Kriegsherren schließlich sind die Politiker, die Herrscher. Allerdings sind sie von ihren Champions, Priestern und Philosophen abhängig. Dieser Weg bringt eine Führungsrolle mit sich, die viele widersprüchliche Anforderungen und Ziele an den Spieler stellt, die inner- und außerhalb der Arena ausbalanciert werden müssen.
Diese Wege sind aber nicht in Stein gemeißelt: Jeder Charakter kann seinen Weg zu jeder neuen Veranstaltung ändern, so wie ein Charakter an seinen Aufgaben wächst und sich seine Geschichte fortschreibt, kann er sich „beruflich“ verändern und sich beispielsweise vom Krieger zum Priester entwickeln.
Einfache Regeln
Die Regeln sind bewusst einfach gehalten: Es gibt zum Beispiel keine Kampfmagie und generell nur eine Handvoll Fähigkeiten. Charaktere können sterben, aber das Spiel ist so gestaltet, dass Konflikte zwischen Charakteren auf die Arena beschränkt sind, wo sie Einfluss auf die Spielwelt nehmen.
Eine fertigkeitenbasierte Charakterentwicklung gibt es nicht. Allerdings gibt es immer eine Menge Veränderungen. Charaktere werden mit jeder Veranstaltung mehr zu einem Bestandteil von Heldentaten und Legenden, sie spielen Rollen in den Epen ihrer Mitspieler und sie ändern den Lauf der (Spiel-) Welt. Dies bedeutet, dass Odyssey zwar durchaus die regelmäßige Teilnahme an Veranstaltungen belohnt, Gelegenheitsspieler aber trotzdem nicht zu sehr ins Hintertreffen geraten.
Das entspricht dem Gedanken hinter dem Konzept: Es ist ein Spiel über Legenden, heldenhafte Charaktere und große Momente. Dabei geht es in erster Linie um spannende Geschichten, nicht um Regeln; um das Eintauchen in den Charakter, nicht um Fertigkeitswerte. Odyssey ist für uns eine Geschichten-Erzähl-Maschine.
Bilder: Chiara McCall, Chris Cox
Dieser Artikel ist erschienen bei:
LARPzeit.de