Die Oh-Kultes Orga beschreibt ihre Cons als Urban Fantasy Settings mit einer Prise Thrill. Seit 2015 bietet die vierköpfige Orga Cons der anderen Art an. Sie besteht aus Larp-Veteranen, die Mitglieder sind durchschnittlich 45 Jahre jung und haben ein Faible für Mythologie und moderne Settings. Was das genau bedeutet, hat unsere Redakteurin Laura Richter im Interview mit Antje und John herausgefunden.
LARPzeit: Lasst uns direkt ans Eingemachte gehen. Ihr habt eine Parallelwelt entwickelt, die der unseren stark ähnelt, bis auf die Tatsache, dass es Geister und Magie gibt. Wie setzt Ihr das um?
John: In unserem Spielhintergrund existieren in der realen Welt mythische Wesen, moderne und alte Götter, Engel, Geister und Wesen aus anderen Dimensionen. Zwischen diesen Mächten leben Menschen und Wechselbälger, Mischwesen aus Mensch und einem übernatürlichen Wesen. Sie wissen, dass es das Übernatürliche, das Ohkulte, gibt, und einige verfügen über übernatürliche Kräfte, die meisten Menschen aber sind unwissend. Die Wissenden sind in Fraktionen zusammengeschlossen, die mit- oder gegeneinander arbeiten und die Welt und ihre Geschicke beeinflussen wollen. Über all das wachen die Schäfer. Sie achten darauf, dass alles verborgen bleibt. Sie sind die WoMen in Black des Ohkulten. Die Charaktere versuchen, sich und ihrer Fraktion einen Vorteil zu verschaffen, an Geheimnisse und Wissen der Mitspieler zu gelangen, Teile des Mysteriums der Spielwelt zu lüften und das Universum zu ihren Gunsten zu betrügen – ohne dass es das Universum bemerkt. Magie und Ohkultismus bedeuten, das Universum dem eigenen Willen zu unterwerfen.
Antje: Natürlich kostet so eine Manipulation etwas, und fast jede ohkulte Handlung hat Konsequenzen, ein Dilemma. Moderne Technik funktioniert schlecht oder gar nicht. Aus dem Grund spielt nicht jeder einen praktizierenden Ohkultisten. Es hat Vorteile, einen Computer oder ein Handy bedienen zu können, um zu recherchieren, denn Geheimnisse spielen eine wichtige Rolle auf den Cons. Fast jeder Charakter hat Dreck unter den Fingernägeln und Wissen, das nicht jedem zugänglich ist. Die Idee ist, mit diesen Geheimnissen zu spielen, kurzfristig Allianzen zu bilden, um an sie heranzukommen und jemanden damit erpressen zu können, um an persönlich relevantes Wissen zu gelangen. Dazu muss natürlich mehr oder weniger offen mit den Geheimnissen gespielt werden.
Ein Geheimnis, das nicht verraten wird, ist für den Spielspaß kein gutes Geheimnis. Wir animieren die Spieler, mit ihren Geheimnissen zu spielen und andere Spieler diese entdecken zu lassen. Geheimgespräche hinter verschlossenen Türen sind schlecht, offene Türen oder Fenster, ein Babyfon, das noch eingeschaltet ist, oder vergessene handschriftliche Kritzeleien sind nur einige Beispiele. Das schafft besonders viel Spaß und dramatisches Spiel, deshalb betonen wir diesen Aspekt, und er ist eines der Themen im Workshop vor dem Con. Das Übernatürliche wird durch unsere Regeln abgebildet, wir verwenden dazu einfache Metatechniken. Der Rest ist Du kannst, was Du darstellen kannst. Da wir die Mythologie von Religionen bespielen, sind unsere Cons für streng religiöse Menschen nicht geeignet.
LZ: In Eurem Regelwerk findet sich beim Stichwort Hintergrund und Spielwelt Folgendes: Zu Beginn dieses Kapitels haben wir eine Bitte an Dich, überlege Dir gut, welchen Abschnitt in diesem Kapitel Du lesen und ob Du all das Wissen im Spiel anwenden willst. Oft kann es viel Spaß machen, sich von Anderen Teile der Welt erklären zu lassen oder diese zu entdecken. Im Grunde ist dieses Kapitel ein gewaltiger Spoiler. Sollte ich das also besser nicht lesen?
John: Es hängt von dem Wunsch des Spielers ab, wie er die Welt von Ohkultes entdecken möchte. Wenn Du als normaler Mensch in die Welt eintauchen und keine Ahnung vom Ohkulten haben willst, lies es nicht. Wenn Dein Charakter ein Ohkultist oder Teil einer Fraktion ist, lese ihn.
LZ: Eure Weltenidee wird mit Wünsch Dir was – werde Ohkultist! abgeschlossen. Das klingt gut. Oder ist es eher schlecht? Wer hat auf Euren Cons das Sagen?
Antje: Spieler, die mit dem Ohkulten auf Du und Du stehen, haben das Sagen. Niemand wird sich dem entziehen können, das ist ein Hauptaugenmerk des Spiels. Es ist sicherlich ein spannendes Charakterkonzept, sich dagegen zu wehren und es nicht zu akzeptieren, wobei den Charakter am Ende der Wahnsinn ereilt, akzeptiert er das Ganze nicht. Wenn jemand daran Spaß hat, gerne. Wie schon erwähnt, gibt es mundane und ohkult aktive Charaktere. Beide haben ihre Berechtigung und ihren Sinn im Spiel.
LZ: Wie geht Ihr mit dem Bösen um? Lasst Ihr es in Figuren auftreten oder deutet Ihr es nur an und erzeugt dadurch Paranoia?
John: Das Böse gibt es in unserer Spielwelt nicht. Es gibt Grauenvolles, Angsteinflößendes und Monströses. Das sind Elemente, die das Spiel bereichern sollen und als Katalysatoren für Interaktionen und dramatisches Spiel dienen. Wirklich böse sind hoffentlich die Spieler untereinander, die für gegenseitige Paranoia sorgen. Jede Gruppierung hat Gründe, warum sie so handelt, wie sie handelt. Was für den einen böse ist, kann für die anderen normal sein oder sogar etwas Gutes. Gut und Böse liegen im Auge der Betrachter. Auf unserer Veranstaltung 2018 haben wir eine nahe Verwandte von Luzifer als Hauptantagonistin gehabt, die eine Auktion mit großartigen Artefakten veranstaltet hat.
Die Paranoia, die bei einigen nur durch den ungewöhnlichen Vater entstanden ist, war beeindruckend. Dabei musste jeder Charakter während der Auktion entscheiden, wie weit er gehen wollte. Was er bereit war, für den Besitz der Artefakte zu tun. Daraus ergab sich die große Frage, ob absolute Freiheit gut oder böse sei. Der Kampf zwischen den verschiedenen Fraktionen und persönlichen Interessen hat bis auf eine Kakerlake leider keine Toten gefordert. Wichtig zu erwähnen ist, dass wir jeden Teilnehmer als Spieler sehen, egal ob der Charakter vorgegeben oder frei erstellt ist. Wir bitten vorgegebene Charaktere, vielleicht einmal in eine andere Rolle zu schlüpfen, aber das war bisher nur selten nötig. In der Regel kommen wir mit subtilen Mitteln aus und Technik ermöglicht manch schönen Effekt.
LZ: Wie kommt man auf die Themen und wie viele Kulturbezüge finden sich?
John: Unsere Vorbilder sind unter anderem die Comics von Neil Gaiman, zum Beispiel Sandman, Romane wie American Gods oder Neverwhere. Hinzu kommen verschiedene Urban Fantasy-Settings und das Pen & Paper Unkown Armies, um die wichtigsten zu nennen. Gemixt wird das Ganze mit einem zeitgeschichtlichen und mythologischen Hintergrund. Wir arbeiten gerne mit historischen Figuren, darunter vor allem Okkultisten, die in Literatur oder Geschichte eine Rolle gespielt haben. Dazu kommt noch eine ganze Menge Trash aus Popkultur und TV-Serien. Bezüge zur Welt der Dunkelheit von White Wolf oder H. P. Lovecraft gibt es dagegen nur wenige, da es genügend andere Vampire-Cons oder Call of Cthulhu-Live-Rollenspiele gibt. Wir haben keine Großen Alten, Werwölfe und Vampire. Unser Name ist ein ironischer Fingerzeig auf echten Okkultismus.
Antje: In jüngeren Jahren habe ich mich gerne mit Märchen und antiken Mythen und den Wikingern beschäftigt. Das erste Con handelte vom Grafen von Saint Germain, der bestimmt werden sollte. ( Ein Abenteurer, Hochstapler, Alchemist und Okkultist des 18. Jahrhunderts, der der Legende nach nicht alterte.) Aktuell ist er wahrscheinlich noch Voodoopriester und lebt in Louisiana. So genau weiß man das in der ohkulten Welt nie, sie ist recht schnelllebig. Auf unserem Con in diesem Sommer, Legacy of the Golden Dawn, wird es unter anderem um Pamela Colman Smith und Arthur Edward Waite gehen, die auch in der Realität Mitglieder des Order of the Golden Dawn (Eine magische Geheimgesellschaft des späten 19. Jahrhunderts, zu der etwa der britische Okkultist Aleister Crowley gehörte.) waren. Wir planen für die Zukunft zwei historische Settings, einmal um den legendären Faust und seinen Pakt mit dem Teufel und das andere um die Gebrüder Grimm und Jenny von Droste zu Hülshoff, der Schwester der berühmten Autorin Annette von Droste zu Hülshoff, die ihnen Märchen zugespielt hat.
LZ: Welche Mechanismen und Mittel habt Ihr, wenn zum Beispiel die Angst real wird?
Antje: Wir spielen keinen Horror, sondern moderne Fantasy und Mysterien, das müssen wir betonen. Wir spielen Drama, aber kein Nordic Larp, dafür nehmen wir die Spielwelt nicht ernst genug. Es gibt einfache Zeichen, mit denen man sich aus einer Szene herausziehen oder signalisieren kann, wenn es zu viel wird oder die Spieler es intensiver wollen. Es gibt immer einen Ort, an dem nicht gespielt wird, und wir nehmen uns die Zeit, um uns um die Spieler zu kümmern. Sollten wir jemals in der Situation sein, dass die Gefühle alle Spieler betreffen, würden wir einen Spielstopp ausrufen und die Situation entschärfen.
LZ: Muss ich mich mit okkulten Themen auskennen, um bei Euch teilnehmen zu können?
John: Einige Spieler lesen sich viel Fachwissen an, um die Rolle überzeugend darzustellen. Das ist großartig! Viele haben dafür aber keine Zeit, keine Mittel oder schlichtweg nicht die Möglichkeit, das ist auch okay! Die Idee ist, dass die Spieler nicht für sich selbst spielen, sondern für andere. Wir bieten unseren Mitspielern eine Bühne. Der Kern der Idee ist, dass wir in einer ohkulten Welt leben. Manche Charaktere haben diese Welt seit Jahren erlebt, studiert, sich vielleicht in einem bestimmten Feld spezialisiert, auch wenn es dieses Fachgebiet nicht in der realen Welt gibt. Unabhängig davon ist es absolut keine Notwendigkeit, sich in irgendetwas wirklich auszukennen, wenn unsere Spieler spielen wollen. Dafür nutzen wir Bullshitting. Wenn ein Spezialist eines Fachgebietes etwas behauptet, dann wird es als richtig akzeptiert. Ein Archäologe kennt sich in der Spielwelt in Geschichte aus, selbst wenn es in der Realität nicht stimmen würde. Da es uns für den Spielspaß wichtig ist, üben wir das im Workshop vor dem Con. Zusätzlich geben wir dem Charakter entsprechende Briefings. Freie Infos zur Spielwelt sind im Designdokument auf unserer Webseite einsehbar.
LZ: Gebt Ihr die Rollen vor oder baue ich mir selbst eine, die Ihr dann prüft?
Antje: Es gibt von den Spielern selbsterstellte Charaktere und nicht selbsterstellte Charaktere. Die selbsterstellten reichen die Spieler im Vorfeld bei uns ein. Sollten Details in der Spielwelt nicht stimmig sein oder benötigt der Spieler noch Informationen, um den Charakter spielen zu können, besprechen wir das mit ihm. Bei den nicht selbsterstellten Charakteren schauen wir, was wir an Figuren für das Con benötigen. Dann nehmen wir Kontakt mit den Spielern auf, die bereit sind, unsere Charaktere zu übernehmen. Nicht selbsterstellte Charaktere können auf Wunsch in Spielercharaktere umgewandelt werden.
LZ: Was bekommt Ihr an Rückmeldungen zu Euren Spielen?
Antje: Es gab Spieler, die gesagt haben, dass sie bisher auf keinem Con so viel Spaß hatten und die Welt lieben. Genauso gab es Spieler, denen es keinen Spaß gemacht hat und die früher abgereist sind, weil sie andere Erwartungen hatten. Wir haben dazu gelernt und versuchen im Vorfeld klarer zu formulieren, welche Art von Live-Rollenspielen wir anbieten.
LZ: Sind Eure Spiele in sich abgeschlossen, eine Kampagne oder eine Serie?
John: Jedes Con ist eine abgeschlossene Geschichte, allerdings können wichtige Figuren oder Dinge wieder auftauchen, und es werden bestimmte Ideen weitergesponnen. Wenn Spieler ihre Rolle für ein weiteres Con übernehmen wollen, spinnen wir den Plot für sie weiter, je nach ihrer Motivation und ihren Wünschen.
LZ: Wie lange plant Ihr?
John: Nach dem Con ist vor dem Con, das stimmt auch bei uns. Wir fangen mit der Planung meist direkt nach dem vorhergehenden Con an. Da die Rückmeldungen der Spieler dann noch am präsentesten sind. Die heiße Phase beginnt, wenn wir die Hälfte der Charakteranmeldungen haben. Designdokument und Regelwerk sind in ständiger Überarbeitung. Das Dokument für 2019 wird um neue Ideen ergänzt. Dinge, die nicht funktioniert haben, werden gestrichen. Wir gehen wir auf Ideen und Wünsche der Spieler ein und lassen sie einfließen.
LZ: Darf ich mir Euer Con Legacy of the Golden Dawn wie einen klassischen Horrorfilm vorstellen? Am Anfang ist alles harmlos, wir machen ja nur einen Wochenendcampingausflug, aber dann verschärft sich die Situation und plötzlich rennen Zombies durch die Gegend? Welcher Spaß verbirgt sich hinter dem Con, könnt Ihr dazu etwas verraten?
John: Es wird Urban Fantasy mit etwas Horror. Auf dem Con geht es um das Vermächtnis des Order of the Golden Dawn. Die Charaktere sollen sich im Vorfeld für eine von drei Fraktionen entscheiden. Jede dieser Fraktionen hat ihre eigenen Interessen an diesem Erbe. Selbstverständlich sind Ohkultisten inkognito vor Ort. Es wird viel Charakter- und Intrigenspiel geben. In der zweiten Storyline spielen Wiedergänger eine Rolle. Welche Geheimnisse es noch auf dem Campingplatz und rund um den See geben wird, wird nicht verraten. Mit vermehrtem Auftreten von Zombiehorden bei Einbruch der Dunkelheit ist allerdings nicht zu rechnen.
LZ: Für welche Larper ist das Con gedacht?
John: Für die Spieler, die Lust auf das Konzept und keine Angst vor Camping ohne Strom und mit Plumpsklo haben. Aktuell sind noch Plätze frei.
LZ: Was habt Ihr zukünftig noch vor?
John: Im Herbst wollen wir ein kleines Con organisieren, das sich um missgünstige Feen drehen wird und den Titel Lost Love trägt. Wir basteln wie gesagt an zwei historischen Settings und werden weitere spannende Cons in der ohkulten Parallelwelt anbieten. Da können wir aber nicht zu viel verraten …
Text: Laura Richter
Bilder: Oh-Kultes Orga
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LARPzeit.de