Doktor Eysenbarth:
Ich bin der Doktor Eisenbarth Kurier die Leut’ auf meine Art.
Kann machen, dass die Blinden gehen und dass die Lahmen wieder sehn.
Das berühmte Studentenlied, zwei Generationen nach seinem Tod entstanden, hat Dr. Eysenbarth unsterblich gemacht. Der 1727 gestorbene Mediziner Dr. Johann Andreas Eysenbarth zählte aber schon zu Lebzeiten zu den umstrittensten Gelehrten seiner Epoche. Mit gewaltigem Gefolge, geleitet von Musikanten und Gauklern, zog Dr. Eysenbarth von einer Stadt zur anderen. Versehen mit einem königlichen Privileg schlug er auf den Marktplätzen seine Zelte auf und begann Kranke zu behandeln. Und es kamen viele...
Der ungewöhnliche Mediziner galt als begnadeter „Okkultist“: eine Bezeichnung, die sich nicht etwa auf übersinnliche Spielchen bezog, sondern auf die Therapie von Augenleiden, besonders des Grauen Stars. Seine marktschreierischen Werbemethoden sorgten dennoch für einen zwielichtigen Ruf.
Dr. Eysenbarths therapeutische Ansätze auf dem Gebiet der Augenheilkunde haben sich im Rückblick als bedeutsam und richtig erwiesen. Im Gedächtnis geblieben ist dennoch nicht die medizinische Leistung, sondern die heilkundliche Entertainmentshow. Wer soviel Brimborium um seine Heilkunst machte, der konnte doch nur ein „Scharlatan“ sein!?
Was ist ein „Scharlatan“?
Was aber ist ein Scharlatan? Die Antwort ist nicht einfach. Den Scharlatan macht es gerade aus, dass er im Grunde keine besonderen Fähigkeiten besitzt. Sein Metier ist der Betrug, die Lüge. Die Tränke des Scharlatans sind nicht wirksam. Es scheint dem zu widersprechen, dass manche Scharlatane von der Wirksamkeit ihrer eigenen Wundermittel überzeugt waren. Ihr Betrug war damit auch ein Selbstbetrug.
Etymologisch leitet sich das Wort Scharlatan von den Bewohnern des italienischen Ortes Cerreto ab. Die Kaufleute aus Cerreto, die „Cerretani“, waren für ihre offensiven Werbekonzepte bekannt. Jedenfalls bezeichnete man als „Cerretano“ einen besonders penetranten Marktschreier. Im Laufe der Jahrhunderte verbarg sich hinter dem „Ciarlatano“ dann aber immer stärker der angebliche Wunderheiler, der Hochstapler und Quacksalber.
Scharlatane aber sind älter als das Wort, das erst in der frühen Neuzeit aufkam. Männer – selten auch Frauen – die behaupteten, wundertätige Heiltränke und Salben, den Stein der Weisen oder andere zauberkräftige Artefakte in ihrem Besitz zu haben, haben die Fantasie in jeder Epoche fasziniert.
Der Glaube an das Wunderbare
Was wir berücksichtigen müssen, ist die Leidenschaft, mit der die Menschen früherer Zeiten an das Wunderbare glauben wollten. Denken wir an die angebliche Heilkraft der Reliquien, an die Knochen und Gewandfetzen von Heiligen, denen man wundertätige Wirkung zusprach. Erinnern wir uns, dass man auch den Händen des Königs heilende Kraft zusprach. Malen wir uns schließlich aus, wie Kreuzfahrer das Badewasser ihres später als „Der falsche Balduin“ bekannten Anführers zu trinken pflegten. Sie witterten den „Geruch der Heiligkeit“. Irgendwie traf das sogar zu. Balduin badete nur einmal im Jahr.
Wer skrupellos genug war, konnte sich diese Wundergläubigkeit leicht zunutze machen. Als Scharlatan brauchte man nur ein solides medizinisches Halbwissen und ein beachtliches rhetorisches Talent. Die Konkurrenz im „Scharlatan-Geschäft“ war groß.
Wichtigstes Aufgabenfeld des Scharlatans war das „Marketing“. Er musste seine jeweilige Salbe oder seinen Zaubertrank möglichst eindrucksvoll, fantastisch und bombastisch anpreisen. Der Glaube der Menschen würde die „Medizin“ dann schon wirksam machen.
Doktor Faust
Ein weiterer bekannter Scharlatan war Doktor Johann Faust, der um 1480 in Knittlingen geboren wurde und vermutlich 1540 in Staufen im Breisgau starb.
Der historische Dr. Faust war ein archetypischer Scharlatan: in seiner Verkaufsschau bot er eine bunte Mischung aus Taschenspielereien, gelehrten Reden und spektakulären Krankenheilungen. Dabei war er kein studierter Mediziner. Den Doktorgrad trug er zunächst nur in der Fantasie seiner zahlreichen Verehrer. Andererseits passte so ein Titel natürlich hervorragend in die geheimnisvolle Aura des Wunderheilers, mit der Faust sich umgab.
Für das gelehrte Establishment war Faust gefährlich: als Autodidakt hatte er sich ein großes akademisch-humanistisches Wissen angeeignet. Zudem hatte er ähnlich wie sein Zeitgenosse Martin Luther „dem Volk aufs Maul geschaut“. Der charismatische Scharlatan war ein begnadeter Rhetoriker, der sein staunendes Publikum zu beeindrucken wusste.
Seine studierten Konkurrenten waren entsetzt über die Erfolge, die er auf seinen Heiler-„Tourneen“ feierte. Allerdings gab es auch Städte wie Nürnberg und Ingolstadt, die von den faustischen Umtrieben nichts wissen wollten. An der charismatischen Gestalt schieden sich eben die Geister. Der Wormser Stadtphysicus Philipp Begardi notierte im Jahre 1539, dieser Faust sei einer jener „bösen, ungeschaffenen, untrüglichen, truoghafftigen, unnützen und auch ungelehrten Ärzte“. Sprich: ein Scharlatan und Quacksalber.
Als Faust bald darauf starb, verbreitete sich rasch das Gerücht, der Leibhaftige habe den Teufelsbraten zu sich in die Hölle befördert. Mit seinem Tod setzten die Legenden erst richtig ein. Schon in einer ersten Lebensbeschreibung aus dem Jahre 1587 mischen sich Dichtung und Wahrheit über den „weitbeschreyten Zauberer und Schwartzkünstler“. Einen Höhepunkt, nicht aber ihr Ende erreichte die Faust-Faszination dann mit Goethes Zweiteiler.
Scharlatane des Rokoko
Niemals aber waren so viele Scharlatane auf den Straßen unterwegs wie in der Epoche des Rokoko, der Ära der Puderperücken und Zwickelstrümpfe. Der Frauenheld Giacomo Casanova etwa stand im Ruf eines Meisters der alchimistischen Kunst – und diesen Ruf wusste der stets geldhungrige Lebemann auch in klingende Münze zu verwandeln.
Sein Zeitgenosse, der mysteriöse Graf von St. Germain, brüstete sich damit, bereits zu Jesu Zeiten bei der Hochzeit von Kana mit am Tisch gesessen zu haben. Sein Geheimnis sei ein wunderwirkender Abführtee, der neben anderen Substanzen Fenchel, Anis, Sennesblätter und Holunderblüten enthielt. Positive Wirkungen des Tees sind nicht zu leugnen. Unsterblich machen konnte er aber nicht einmal seinen Schöpfer, der 1784 in eher ärmlichen Verhältnissen verschied.
Auch der angebliche „Graf Cagliostro“, als „Alessandro Balsamo“ aus Palermo gebürtig, behauptete, etliche Jahrhunderte auf dem Buckel zu haben. Er stamme aus dem alten Ägypten und habe dort ein gewaltiges Geheimwissen erworben. Cagliostros Repertoire war vielseitig: Taschenspielertricks, Urkundenfälschung, Seancen und spiritistische Sitzungen, Zuhälterei, alchimistische Umwandlung von Blei in Gold. Kaum ein Bereich der Kleinkriminalität, in dem der Scharlatan nicht firm war.
Wiederholt öffnete ihm sein Ruf die Türen zu höchsten gesellschaftlichen Kreisen. Seine Verwicklung in die „Halsbandaffäre“ um die französische Königin Marie Antoinette brachte den Hochstapler in den Kerker. Cagliostro starb im Jahre 1795 im Verlies einer päpstlichen Festung. Er war der letzte große Scharlatan.
Und die Welt des frühen 21. Jahrhunderts? Die Scharlatane sind heute nicht ausgestorben. Doch wer ist denn wirklich ein Scharlatan? Rheumadecken, überteuerte Aloe Vera-Produkte, Bachblütentherapie, Homöopathie, Wunder-Potenzmittel, Schlank-in-drei-Tagen-Pillen... was davon ist Scharlatanerie? Gehört Alles, dessen medizinische Wirksamkeit sich nicht wissenschaftlich beweisen lässt, in den Bereich der Scharlatanerie?
Die Antwort ist letztlich gar keine wissenschaftliche, ja, nicht einmal eine moralische. Soll das Heilmittel doch von einem Scharlatan kommen – wenn es nur hilft!
Magister Stephan M. Rother
www.magister-rother.de
Dieser Artikel ist erschienen bei:
LARPzeit.de