Auf der RPC 2014 war ein kurzes Foto-Shooting im Outfit eines meiner Charaktere aus der Welt des Rollenspielsystems Das Schwarze Auge (DSA) geplant. Auf dem Weg dorthin starrte mich ein mir unbekannter Besucher mit einer seltsamen Mischung aus Entsetzen und Abscheu an, die mir vorher noch nie begegnet war und die mich vollkommen überraschte.
Vor dem ersten Con, das ich mit diesem Charakter besuchen wollte, erhielt dessen Veranstalterin eine offenbar nicht nur scherzhaft gemeinte Nachricht, man solle doch das Con mit der Altersfreigabe Ab 16 ausschreiben (oder mich ausladen?). Begründet wurde dieser Hinweis mit Fotos von einem Outfit meines Charakters. Auch das ist mir noch nie zuvor passiert.
Woher kamen diese Irritationen meiner Mitmenschen? Besagter Charakter ist eine Rahja-Geweihte, ein spezifisches Phänomen für die kleine Szene von Larps im Setting von DSA. Rahjanis dienen einer Göttin, die mehr oder minder eine Mischung aus der antiken Liebesgöttin Aphrodite oder Venus und Kamasutra-Fantasien ist. Rahja ist zudem die Schutzherrin der Pferde und der schönen Dinge wie gutem Wein, Rosen, Tanz, angenehmer Unterhaltung und auch von Sex. Die Bekleidung ihrer Geweihten wird als aus edlen und durchsichtigen Stoffen gefertigt beschrieben – falls sie überhaupt eine tragen.
Der Larp-Kompromiss, für den ich mich bei der Umsetzung meines Charakters entschieden habe, besteht einfach aus mehreren Lagen transparenter Stoffe, die übereinander getragen aus meiner Sicht undurchsichtig genug sind. Wie die meisten Kompromisse geht er manchen Kritikern zu weit, anderen nicht weit genug.
DSA hat eine bemerkenswert lange Tradition von Brüsten, Nacktheit und Sex in Hintergrund und Publikationstexten. Darum sind einige Mitspieler der Meinung Wenn schon, denn schon: für sie zeigt meine Gewandung zu wenig Haut, ist zu wenig durchsichtig und generell nicht mutig genug.
Vertreter einer postmodernen Prüderie sind dafür bereits über seitliche Einblicke ins Dekolleté entsetzt (obwohl ich deutlich mehr bekleidet bin, als wenn ich im Schwimmbad im Bikini herumlaufen würde).
Schließlich gibt es noch die Handvoll von Leuten, die sagen, das wäre ja alles sehr schön, nur eben nicht an mir und die die Frage in den Raum stellen, warum ausgerechnet jemand wie ich, der offenbar irgendeinem Ideal nicht entspricht, es wagen könne so aufzutreten.
Das ganze Outfit lädt offenbar zur Kritik ein und das auf einer Ebene, die ich mit Binja Bärenwürger, einer robusten bornländischen Bäuerin niemals erreichen könnte. Wenn schon das Outfit zu solchen Diskussionen führt, warum spielt man eine solche Rolle dann überhaupt? Ich gebe zu, dass genau diese Einladung zur Kritik einen guten Anteil des Reizes ausmacht. Der Charakter zieht mehr Aufmerksamkeit und Interesse auf sich als das liebevollste Bauergaming, in das ich Wochen an Handstickerei gesteckt habe. Nicht, dass ich nicht auch genug Arbeit in die Gewandung der Rahjani investiert hätte, aber hier schaut tatsächlich jemand hin, weil es so auffällig ist. Ich unterstelle einmal, dass für viele Spieler Larp auch immer eine Bühne ist, ein Kokettieren mit Aufmerksamkeit und Persönlichkeitsanteilen, die man im wahren Leben vielleicht nicht in den Vordergrund spielt.
Ein großer Teil meiner Motivation ist, dass der Charakter eine Ausrede liefert mich herauszuputzen, Röcke aus teuren Stoffen für Saris zu schneidern, Farben zu kombinieren, die ich im Alltag nicht tragen würde, mir Locken in die Haare zu drehen und einen Aufwand mit Make-up zu betreiben, den ich ansonsten nicht auf mich nehmen würde. Es ist eine fast kindliche Begeisterung für das Verkleiden und Sammeln passender Schmuckstücke und Stoffe, der Verwendung feiner Seide oder dem Umbau eines Münzgürtels, weil das bei einem solchen Charakter endlich einmal Sinn macht.
Und ihn dann auch auszuspielen, sich stets der Körperhaltung bewusst zu sein, auf anmutige Bewegungen zu achten, in bodenlangen Stoffen und mit hohen Schuhen Treppen hinunter zu gleiten. Als Privatperson flegele ich mich gerne gemütlich mit einem Hoodie in die Ecke – nicht so dieser Charakter. Es ist anstrengend, aber überraschend unterhaltsam. Es ist zu einem guten Teil dem angestammten DSA-Hintergrund zu verdanken, dass dieser Charakter nicht nur weinrote Seide trägt und nutzlos ist, sondern auch eine gewisse Macht und spielrelevante Fähigkeiten hat und ebenso respektiert wird wie andere Charakterkonzepte.
Als Frau mit tiefem Ausschnitt ist es nämlich oft gar nicht so einfach, Respekt zu erhalten. Es herrscht offenbar weiterhin eine Ansicht vor, dass sich spärlich bekleidete Frauen auf eine Ebene begeben, auf der man sie weniger ernst nehmen muss. Warum?
Ein Rest-Schlampen-Bild, das knappe Bekleidung mit Promiskuität und einem schwachen Charakter gleichsetzt? Der unterschwellige Gedanke, dass man bei der Wahl solcher Kleidung keine anderen Qualitäten ins Feld führen kann? Keine Ahnung ...
Mit solchen Reaktionen und Kritiken zu meinem Aussehen und Auftreten umzugehen, ist in erster Linie eines: Übung und Gewöhnung. Von wohlgemeinten, aber dennoch seltsamen Ratschlägen, mich doch durch einen tiefen Ausschnitt nicht unter Wert zu verkaufen, bis hin zu boshaftesten Beleidigungen meines Aussehens habe ich langsam alles gehört oder gelesen. Derartige Kritik hat mich eine Weile sehr getroffen, mich zweifeln lassen oder mich wütend gemacht. Inzwischen gibt es darauf nur eine Reaktion: ignorieren und weitermachen. Ich ziehe mich also weiter so an und verhalte mich so wie ich will. Auch als großer Mittelfinger in die Richtung aller, die andere durch beiläufige Boshaftigkeit oder unüberlegte Kommentare maßregeln wollen.
Die meisten Reaktionen sind allerdings positiv. Entsetzt starrende Besucher auf der RPC bilden die Ausnahme und finden sich auf Cons fast gar nicht. Manche Form der Kritik mag unangenehm sein, stellt aber ebenso eine Ausnahme dar.
Meiner Meinung nach kann jeder seinen Charakter gestalten und spielen wie er oder sie es will. Die Rahja-Geweihte als eine von mittlerweile vielen und sehr unterschiedlichen Larp-Figuren, die ich bespiele, trägt oft eine knappere Gewandung als meine anderen Charaktere. Aber das ist nur ein Aspekt dieses Charakters unter vielen und aus meiner Sicht nicht einmal der prägendste ...
Text: Mháire Stritter
Dieser Artikel ist erschienen bei:
LARPzeit.de