Noch immer lehnen sich die Rebellen des Wintervolks gegen die brutale Herrschaft der unheimlichen Fernen auf. Endlich haben sie herausgefunden, wo ihr Gott Waldan, der Hüter des Herdfeuers, gefangen gehalten wird: in einem Tunnelsystem tief unter der Erde.
Immersion steht und fällt mit der Location, das ist kein Geheimnis, und so manch eine engagierte Larp-Orga beurteilt ganz unbewusst und automatisch jeden Ort, den sie betritt, auf seine Larp-Tauglichkeit. Nicht immer erlauben es die äußeren Umstände, perfekt geeignete Örtlichkeiten auch tatsächlich für ein Con zu buchen. Ende Juni jedoch hat sich ein solcher Wunsch einer Larp-Orga nach dem perfekten Veranstaltungsort erfüllt.
Für Wintruz – Schicksalsergeben gelang es der Con-Leitung, ein ausgedehntes, labyrinthartiges Kellersystem über eine Fläche von anderthalb Fußballfeldern im Raum Nürnberg anzumieten. Dieser absolute Glücksgriff bescherte den Con-Teilnehmerinnen und -Teilnehmern unvergessliche Erlebnisse! Die Spieler verkörperten größtenteils Angehörige des Wintervolks, die unverschuldet oder mit Hintergedanken in die Fänge der Fernen geraten waren. Diese maskierten, unablässig Klicklaute ausstoßenden Unholde pferchten ihre Gefangenen in große Zellen in einem gemauerten Teil der Kelleranlage. Bewacht wurden sie von Fußsoldaten der Fernen, aber auch von menschlichen Dienern, die durch Treueeide an ihre grausamen Herrscher gebunden waren. Unter diesen befanden sich auch einige SCs.
Vor dem Con
Bereits im Vorfeld gab es viel Austausch der Orga mit den Teilnehmern, um Charaktere passend zum Hintergrund zu schreiben. Die Plotschreiber verwoben die Charakterhintergründe dann mit den Plots und verknüpften sie eng mit anderen SCs. So erhielt jeder SC ein maßgeschneidertes Briefing mit zwei bis zehn Seiten Umfang. Darüber hinaus gab es vor der Veranstaltung die Möglichkeit, an einem Sonntag zwei Wochen vorher Prescenes zu spielen. Das sind kurze Schlüsselszenen, die als Vorspiel des Cons dienen, wie die Verabschiedung von Freunden und Familie, eine schicksalhafte Prophezeiung oder die Gefangennahme durch die Fernen und ihre Diener. Durch diese ausführliche Vorbereitung wurden Spannung und Vorfreude auf den Trip in den Untergrund nur noch mehr angefacht und dann war es endlich so weit: Es ging in den Keller.
Schöner Foltern
Der erste Abend des Con zielte vor allem darauf ab, den Gefangenen den Ernst ihrer Lage und die Grausamkeit ihrer Feinde zu verdeutlichen. Mit dem vorab eingeholten und während des Con immer wieder abgefragten Einverständnis der Spieler wurden ihre Charaktere körperlicher und psychischer Folter ausgesetzt. Hochrangige Ferne waren zugegen, um das wie Tiere eingesperrte Wintervolk zu begutachten und den SCs dabei hassenswerte Gegner und wertvolle Exposition zu vermitteln.
Sie ließen Spieler in Zweikämpfen gegeneinander antreten, die eine erste SC das Leben kosteten – sie sollte später passend zum Plot als Geist wiederkehren und ihren Gefährten zu Hilfe eilen – und riefen in einem blutigen Ritual die Schicksalsgöttinnen an. Dabei enthüllte sich das gesamte Ausmaß ihres niederträchtigen Plans: Die Fernen hatten vor, den Gott Waldan zu essen, um sich seine Macht zu eigen zu machen. Doch dieser war noch nicht „essbar“ und wurde bis dahin anderswo aufbewahrt, wo die Fernen ihn hungern ließen. Sobald er hungrig genug wäre und seine Gegenwehr erlahmte, würde er bereitwillig das Blut von im Kampf getöteten Angehörigen des Wintervolks trinken, und dann wäre er bereit.
Vom ersten auf den zweiten Tag des Con vergingen in-time mehrere Wochen, und die Gefangenen harrten aus. Es stand den Spielern frei, die Nacht in-time im Keller zu verbringen, in Decken und Felle gehüllt, um die Kälte der steinernen Gänge fernzuhalten. Für Licht sorgten dort unten nur flackernde LED-Kerzen und einige wenige kostbare Laternen. Für nachts und zwischendurch hatte die SL für die Spieler Halluzinationen mit einem speziellen binauralen Mikrophon aufgenommen, die klangen, als ob die Stimmen ihrer Liebsten tatsächlich im Raum wären.
Die Erfahrungen in der Nerwarak, dem unterirdischen Gefängnis der Fernen, brachten einige Spieler, aber auch NSC-Darsteller, an ihre Grenzen. Einen wichtigen Kontrapunkt zu der erdrückenden Atmosphäre des düsteren Kellers waren die gemeinsamen Mahlzeiten, zu denen sich alle Con-Teilnehmer zusammen im Tageslicht in einer eigens hierfür angemieteten Gaststätte in der Nähe versammelten. Die Verpflegung war großartig, und auch im Keller standen stets genug Getränke und Snacks bereit, um sich sorgenfrei der unglaublichen Atmosphäre hinzugeben.
In lichtlosen Gängen
Nach dem stimmungsvollen und plotreichen Auftakt ging es am zweiten Tag des Con deutlich actiongeladener zu. Nach einem In-time Zeitsprung von drei Wochen erfuhren die SCs, dass ihr Gott Waldan hergebracht worden war – das Startsignal für den Aufstand! Es gelang den Gefangenen in packenden Kämpfen, ihre Wärter zu überwältigen und die Kontrolle über den Gefängnistrakt zu erlangen. Hier erwies es sich als großer Vorteil, dass am ersten Abend einige der menschlichen Diener der Fernen von der Rebellion überzeugt werden konnten und die Gefangenen unterstützten. Jetzt konnte die SL unter Beweis stellen, dass sie nicht nur etwas von Atmosphäre und Plot, sondern auch von Props und Rätseln verstand.
Scharmützel mit den Fernen trieben die Spieler tiefer in die lichtlosen Gänge des Kellersystems, die teilweise aus Naturstein, teilweise aus grob behauenem Sandstein bestanden. Hier lauerten fantastisch gestaltete Ungeheuer mit Latexmasken und aufwändigen Kostümen. Es galt, in der Düsternis und mit spärlichen Lichtquellen die Gänge zu erkunden, leuchtende Pilze einzusammeln und versteckte Runensymbole ausfindig zu machen, mit denen die Schutzzauber um den Gott Waldan gebrochen werden konnten. Die Anspannung der Spieler war greifbar. Nervös und furchtsam wagten sie sich kaum in kleineren Gruppen ins Dunkle. Stets lauerten knapp außerhalb des schwachen Lichtscheins ihrer Laternen zischende Bedrohungen auf sie, und strategisch platzierte Lautsprecher, die ihrerseits die Klicklaute der Fernen wiedergaben, taten ihr Übriges, nie auch nur den Anflug eines Gefühls von Sicherheit aufkommen zu lassen.
Selbst schwer verletzte SCs mussten jedoch nicht aus dem Spiel ausscheiden: Ihnen wurden blickdichte Schlafmasken aufgesetzt, dann führten Runner sie durch die Gänge, bis sie völlig orientierungslos eine eindrucksvolle magische Höhle erreichten. In diesem wundersamen, von Schwarzlicht durchfluteten Raum mit unzähligen leuchtenden Deko-Elementen konnten sie einen Augenblick verschnaufen und wurden von seltsamen stummen Lichtwesen umsorgt, den Leukas. Diese unerwarteten Verbündeten hatten ihre ganz eigenen Gründe, dem Wintervolk zu helfen. Bald ging es den Charakteren wieder gut und sie fanden sich allein in einem Gang wieder, von wo aus sie sich ihren Gefährten wieder anschlossen.
Zwischen Angst und Epik
Den Höhepunkt fand der Samstag zunächst in einem moralisch höchst fragwürdigen Angebot, mit dem die Spieler den weiteren Verlauf der Wintruz-Kampagne gehörig hätten auf den Kopf stellen können, und anschließend natürlich in der Befreiung Waldans. Die SLs zogen hierbei wirklich sämtliche Register der eindrucksvollen technischen Ausstattung, die ihnen für dieses denkwürdige Con zur Verfügung stand. Nebelmaschinen, Lichteffekte und ein Geisterchor begleiteten die Szene, in der einige SCs ihr Leben opferten, um ihren Gott vor den Fernen zu retten.
Doch ein letztes Hindernis musste vom Wintervolk überwunden werden, denn es gab nur einen Weg, die Nerwarak wieder zu verlassen: Da nur hochrangige Ferne die Türen öffnen konnten, war es nur möglich zu entkommen, wenn ein hochrangiger Ferner hereinkam und auf dem gleichen Weg wieder hinaus musste. In einer finalen Szene am Sonntagvormittag stürmte der Fernen-Heerführer Urk Knochenbrecher, dem der erste Bissen von Waldan versprochen worden war, mit seinen Getreuen den Keller. Ferne und Ungeheuer trieben die SCs ein letztes Mal durch die Gänge, vielen gelang die Flucht, doch einige ließen dabei auch ihr Leben und andere gerieten einmal mehr in Gefangenschaft der Fernen – und müssen damit wohl beim nächsten Con einen etwas anderen Einstieg über sich ergehen lassen als jene, die entkommen sind.
Drei abwechslungsreiche Tage voller denkwürdiger Erinnerungen liegen hinter uns, und sicher werden uns allen die Kälte des unwirtlichen Kellers, der Schrecken der maskierten Fernen und der erhabene Augenblick von Waldans Befreiung noch eine ganze Weile in den Knochen stecken!
Text: Johannes Kaub
Bilder: Andrea Thorn, Felix Katzung, Hibernia e.V.
Dieser Artikel ist erschienen bei:
LARPzeit.de