Larp ist für die meisten ein Hobby. Das Eintauchen in andere Welten, die Kostüme, das Abenteuer, das Hineinschlüpfen in andere Charaktere macht für viele einen besonderen Reiz aus. Aber auf den Veranstaltungen passiert weit mehr: Wir lernen. Zum Beispiel wie es sich anfühlen kann, von einem ungerechten Lord in die Schranken gewiesen zu werden. Oder wie eine Gruppe von organisierten Bettlern funktionieren könnte, auch wenn sie in diesem Fall in einer sehr kleinen, fiktiven Stadt unterwegs ist. All das passiert nebenbei. Bei Spielen, die nicht darauf ausgelegt sind, nehmen wir es unbewusst mit. Man kann die Methodiken des Larps aber auch bewusst zum Lernen nutzen. Denn wie sagte schon Konfuzius? Erkläre mir, und ich vergesse. Zeige mir, und ich erinnere mich. Lass mich tun und ich verstehe.
Mit dem Edu-Larp (Educational LiveAction-Roleplay) wird das Larp um eine Dimension für zielgerichtet gestaltete Bildungs- und Lernprozesse erweitert. Es wird nicht nur erklärt wie in der Schule und nicht nur gezeigt wie in einem Lehrfilm. Wir sind mittendrin und erleben, was mit uns passiert. Dazu kommt noch ein Perspektiv Wechsel: Wir nehmen die Welt durch die Augen eines erfundenen Charakters wahr, was den Blickwinkel verändern kann. Bei Edu-Larps spielen oft Teilnehmer, die ansonsten mit dem Hobby Larp wenig bis gar nichts zu tun haben.
Das Drama-Game als Lern- und Lehrmethode
Drama-Games (auch als Mini-Larp oder Chamber-Games bekannt) sind kurze szenische Rollenspiele, welche mit wenig Material auskommen. Rollen und Regeln werden kurz vor dem Spiel verteilt und besprochen. Statt um Welten, Kostüme und Charaktere drehen sich diese Drama-Games in erster Linie um ein Thema und dauern in der Regel nicht länger als ein paar Stunden. Sie sind auch für Nicht-Larper leicht zugänglich und kommen mit wenig Material aus. Zuschauer gibt es wie beim klassischen Larp keine. Jeder, der anwesend ist, nimmt auch an dem Spiel teil. Meist gibt es einen Regisseur oder eine Regisseurin, die die szenische Gestaltung leitet. Nach dem Spiel wird das Erlebte eingeordnet und reflektiert. Inhaltlich kann die gespielte Geschichte sowohl klassich oder auch experimentell gestaltet sein. Ob man gleichbleibende Figuren in chronologischer Reihenfolge spielt oder durch die Verwendung von Metatechniken mit Zeit-, Figuren- oder Ortswechseln experimentiert, wird vor allem durch das behandelte Thema bestimmt.
Die große Verschwörung – Thema und Entstehung
Verschwörungserzählungen sind so alt wie die Menschheit selbst. So wird sich bis heute erzählt, dass Kaiser Nero in seinem Machtwahn Rom angezündet hätte. Damals war es eine einfache Erklärung für das Unerklärliche, aber schon damals nicht wahr. Dieses Motiv hält sich seit fast 2000 Jahren. Warum ist das so? Wo liegt die Faszination an Verschwörungen? Was macht sie so gefährlich und für wen sind sie gefährlich?
Die wissenschaftlichen Fakten sind eindeutig: Es gibt den menschengemachten Klimawandel, und je mehr die Erderhitzung zunimmt, desto bedrohlicher wird es künftig für alle Lebewesen auf der Erde werden. Warum gibt es trotzdem Menschen, die das leugnen? Welche Funktion hat dies für das Individuum und welche Gefahren birgt dies?
All dies kann man im Drama Game Die große Verschwörung erleben. In einem fiktiven Szenario hat sich eine Katastrophe ereignet, viele Menschen sind bei weltweit stattfindenden Erdbeben ums Leben gekommen. Aus diesem Thema heraus haben die Waldritter das Bildungsspiel Die große Verschwörung entwickelt. Die Teilnehmer begeben sich nun auf die Suche nach der Wahrheit und können dabei erleben, wie Verschwörungserzählungen aufgebaut sind.
Entstanden ist das bei einer partizipativen Schreibwerkstatt im Jahr 2016 unter dem Namen An den Klimawandel glaube ich nicht. Das Spiel wurde im Rahmen des Bundesprogramms Demokratie leben! komplett überarbeitet und neu veröffentlicht.
Das Drama-Game ist unter einer Creativ Commons Lizenz veröffentlich (cc-byna-sa 4.0) und kann von jedem gespielt werden.
Setting und Spielverlauf
In einer nicht näher definierten Zukunft traten an neun verschiedenen Orten auf der Welt in Abständen von nur wenigen Stunden bis Tagen schwere Erdbeben auf, die viele Verletzte und Tote zur Folge hatten. Die Menschen sind verunsichert und wollen Antworten. Ist jemand für die Erdbeben verantwortlich? Wie wird uns schnell geholfen? Kann das nochmals passieren? Die Teilnehmer versetzen sich in die Rolle verschiedener Akteurinnen und Akteure, die nach Antworten und Schuldigen suchen. Dabei sind die Motive und Ansätze der einzelnen Rollen ganz unterschiedlich. Aber immer treibt sie die Frage an, was die Ursache für die Katastrophe sein könnte.
Das Spiel ist in drei Phasen unterteilt:
- In der ersten Phase setzen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit der Thematik auseinander. Hier geht es vor allem darum, Recherchetechniken zu erproben und auszutauschen. Welchen Quellen vertrauen sie bei ihrer Ermittlung und warum? Können die Erdbeben durch klimatische Veränderungen ausgelöst werden? Wäre ein solches Szenario in Wirklichkeit wahrscheinlich?
- In der zweiten Phase übernehmen die Teilnehmer verschiedene Rollen. Sie werden zu Führungspersönlichkeiten, zu Vertreterinnen und Vertretern wissenschaftlicher Institutionen und zu Mitgliedern verschiedener Volksbewegungen. In diesen Kleingruppen setzten sie sich mit ihren Thesen und Vermutungen auseinander, entwickeln Lösungen und vor allem entwickeln sie eine gemeinsame Antwort auf die Frage, was passiert ist, und stellen resultierend Forderungen auf, die natürlich ihre eigenen Ziele und Interessen stärken.
- In der dritten Spielphase geht es darum, das Erarbeitete an die Öffentlichkeit zu tragen und sich Gehör in der Gesellschaft zu schaffen. Die verschiedenen Gruppierungen treffen sich gemeinsam zu einer Pressekonferenz, um ihre Ergebnisse zu verkünden.
Ziel und Zielgruppe des Spiels
Die Teilnehmer sollen zunächst ein mal Spaß am Spielen haben und sich dabei, wenn möglich mit dem Themenkomplex Verschwörungserzählungen auseinandersetzen.
Die Teilnehmer haben den Ablauf selbst in der Hand. Es sollen Schwerpunkte an den Stellen gesetzt werden, die für die Gruppe sinnvoll sind. Dies kann je nach Kenntnisstand und Alter sehr unterschiedlich sein. So mag es für eine Gruppe ein gelungenes Spiel gewesen sein, wenn sie es geschafft hat, mit Freude zusammenzuarbeiten oder erste Recherchen selbstständig zu tätigen, während eine andere Gruppe über „Wahrheitsansprüche und Wissenschaftlichkeit” diskutiert und daraus Handlungsansätze für sich und ihr Umfeld ableitet oder die gesellschaftliche Dimension von Verschwörungsnarrativen diskutieren.
Das Spiel richtet sich vornehmlich an Jugendgruppen und Schulen. Es ist für zehn bis 30 Teilnehmer geschrieben und ab zwölf Jahren spielbar. Die reine Spielzeit beträgt drei Stunden. Allerdings ist das Spiel in einen Seminarkontext eingebunden, da davon ausgegangen wird, dass die Spielleitung die Teilnehmer nicht kennt.
Nachbereitung
Ein wichtiger Kernpunkt von (politischen) Bildungsspielen ist die Nachbereitung des Spiels – etwas, das wir von einem Fantasy-Larp nicht kennen. Wir fahren auf das Larp, erleben unser Spiel, fahren wieder nach Hause und haben einen mehr oder weniger großen Auswurfschock ins reale Leben und verarbeiten das Gelebte entweder allein oder im Gespräch mit Freunden.
Ein Drama-Game dagegen hat immer eine geführte Nachbereitung. Diese dient zum einen der Reflexion über das Gelernte, aber es dient auch dazu, die Spielerinnen und Spieler mit schwierigen Themen nicht alleine zu lassen. Wenn ihr vorhabt, ein Drama-Game oder ein Mini LARP-zu spielen, sei es Die große Verschwörung oder ein anderes, (eine Sammlung von verschiedenen Spielen findet ihr hier), dann plant daher immer eine Nachbesprechung mit ein. In den meisten Spielen ist diese schon in der Spielanleitung integriert. Die Anleitung teilt sich meist in eine Vorbereitung, die Spieldurchführung und die Nachbesprechung. In der Diskussion können verschiedene Schwerpunkte gesetzt werden, je nachdem, was das Ziel des jeweiligen Spieles war.
Fazit
Drama-Games wie Die große Verschwörung lassen sich für einen intensiven Lerneffekt zur (politischen) Bildung einsetzen. Was wir erleben, sinkt viel stärker ein als alles, von dem wir nur irgendwie hören. Wenn wir einmal erfahren haben, wie es sich anfühlt, als Wissenschaftler gegen das Nicht-Wahrhaben-Wollen des überforderten Bürgers geredet zu haben, werden wir ein anderes Verständnis dafür haben. Dasselbe gilt aber auch andersherum: Wir erfahren vielleicht, wie es sich anfühlt, zwischen dem stressigen Alltag plötzlich auch noch für eine Lösung des Klimawandels verantwortlich zu sein, wo das Leben doch sowieso schon so schwierig ist, und erleben unter Umständen am eigenen Leib, wie es sich anfühlt, diese Überforderung mit den Worten zu blocken: „An den Klimawandel glaube ich nicht.“ – und welche Gründe und Motivationen hinter einer solchen Aussage stecken können. Dies kann ein tieferes Verständnis dafür vermitteln, warum Verschwörungsmythen sich so hartnäckig halten. Aber auch viele andere Themen können mit solchen Spielen beleuchtet werden und so einen Einblick in verschiedenste Themenbereiche geben.
Text: Jorina Havet
Jeder der möchte, kann das Drama-Game Die große Verschwörung im Rahmen nichtkommerzieller Veranstaltungen spielen. Eine ausführliche Anleitung findest du auf der Webseite von Zauberfeder. Wer eine kostenlose Printversion bekommen möchte, kann sich unter info@waldritter.de an die Waldritter wenden.
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