Früh zeigte sich, dass die Reise unter keinem guten Stern stand. Bereits in der ersten Nacht beging ein Matrose Selbstmord, der zuvor aufgrund einer unerklärlichen Raserei in die Brigg gesperrt worden war – nicht jedoch, ohne vor seinem Ableben noch eine mysteriöse Warnung auszusprechen. Die Mannschaft wisperte von dunklen Zeichen, während sich die aufgeklärteren Seelen unter den Passagieren über deren Aberglauben lustig machten. Irgendwann mussten aber auch sie einsehen, dass übernatürliche Kräfte an Bord ihr Unwesen trieben.
Je weiter die Fahrt voranging, desto gedrückter wurde die Stimmung. Mehr und mehr der düsteren Geheimnisse der Mitreisenden kamen ans Licht, mal in Form von tränenreichen Geständnissen, mal in lautstarken oder gar gewalttätigen Konflikten. Schließlich griff Wahnsinn um sich und ein Charakter nach dem anderen wurde aus Furcht, Eifersucht, Wut, Enttäuschung, Verblendung oder reiner Machtgier getötet oder brachte sich selbst um. Zuletzt war nur noch der Kapitän am Leben, der sich, mit einem schaurigen Lied auf den Lippen, am Steuerrad festband, bevor auch er elendig zugrunde ging.
Geschichte ohne Happy End
Dieser Ausgang der Geschichte stand bereits zu Beginn des Spiels fest. Kein Kampfgeschick, keine clevere Plotlösung und auch kein noch so ausgefeiltes Ritual hätten daran etwas ändern können. Das Con thematisierte das Schicksal jenes unglücklichen Schiffes, auf dem der wohl berühmteste Vampir aller Zeiten nach England kam: Graf Dracula – und die literarische Vorlage besagte nun mal, dass die Demeter „mit keiner lebenden Seele an Bord“ anlandete.
Statt der Suche nach Lösungen standen die Charaktere mit ihren Emotionen und Geheimnissen im Zentrum des Spiels. Hierbei handelte es sich um vorgegebene und miteinander verknüpfte Rollen. Ziel des Spiels war es, gemeinsam eine gruselige Stimmung aufzubauen und zu erleben. Das fiel allerdings oft schwerer als gedacht, da manchmal schon ein einziger blöder Spruch oder bissiger Witz reichte, um die mühsam aufgebaute Anspannung wieder zu lösen.
Eine weitere Besonderheit in der Herangehensweise war die Aktstruktur. Das Spiel war in drei Akte gegliedert, zwischen denen jeweils eine circa einstündige Pause lag. In dieser Zeit konnten die Teilnehmer Ideen für den Fortgang des Spiels austauschen und Absprachen miteinander treffen, mit dem Ziel, die Dramatik zu steigern. Nach einem etwas zögerlichen Start beim ersten Aktwechsel wurde diese Möglichkeit beim Wechsel vom zweiten in den dritten Akt von zahlreichen Spielern genutzt. Die Akte bestimmten auch jeweils den erlaubten Level der gespielten Gewalt zwischen den Charakteren. Während im ersten Akt keine drastische Gewalt erlaubt war, durften sich die Spielfiguren im zweiten Akt gegenseitig schwer verletzen und im dritten töten. Das sorgte nicht nur dafür, dass niemand mitten im Spiel plötzlich keinen Charakter mehr hatte, es unterstützte auch das langsame Eskalieren der Konflikte.
Trotz dieser mehr als ungewöhnlichen Herangehensweise hatten sich mehr als genug Larper gefunden, die bereit waren, sich auf dieses Experiment einzulassen. Innerhalb von nur 24 Stunden nach Beginn der Anmeldephase hatten knapp doppelt so viele Spieler versucht sich anzumelden, wie es Plätze gab.
Segel setzen
Wenn man zu einem normalen Spiel zu spät kommt, verpasst man im schlimmsten (oder besten?) Fall die immer gleiche SL-Ansprache. Bei dieser Veranstaltung konnte es passieren, dass die Spiellocation nicht mehr am ursprünglichen Ankunftsort aufzufinden war. Gespielt wurde auf einem echten Traditionssegelschiff, das mit den Teilnehmern auf der Ostsee unterwegs war. Zum Glück für alle Zuspätkommer musste nur der Ankerplatz für die Nacht in einen nahegelegenen anderen Hafen verlegt werden, damit die eigentliche Fahrt am nächsten Morgen beginnen konnte. Schließlich war das gemeinsame Segeln ein wichtiger Bestandteil des Erlebnisses (bei manchem allerdings inklusive leichter Seekrankheit).
Die außergewöhnliche Location hat sehr zum Spielgefühl beigetragen. Da auf einem solchen Segelschiff jede Menge Arbeit anfällt, für die viele Hände gebraucht werden, musste das Rollenspiel aber manchmal etwas zurückstehen. Wenn es galt, die Segel zu setzen, mussten nicht nur die Spieler von Matrosencharakteren mit anpacken, sondern auch die der feinen Herrschaften unter den Passagieren. Auch in der Kombüse hatte jeder Mitreisende mal Dienst.
Und auch ganz unabhängig von der Rolle durfte jeder, der wollte, mal ein Stündchen das Steuerrad übernehmen. Dabei stellte man schnell fest, dass es gar nicht so einfach ist, ein derartiges Schiff auf dem vom Kapitän vorgegebenen Kurs zu halten.
Alles in allem ist so ein Segelcon eine spannende Erfahrung – mit oder ohne Vampir im Laderaum!
Auf einen Blick:
Termin: 29.10. bis 1.11.2015
Ort: Traditionsschiff Pippilotta, Ostsee
Veranstalter: Yvonne Wagner, Tim Fitzler, Stefan Deutsch
Homepage: www.operation-brainfuck.de
Genre: Horror
Verpflegung: Vollverpflegung
Teilnehmer, Kosten: 28 SCs ab 249,- Euro
Regelwerk: Eigenes
Dieser Artikel ist erschienen bei:
LARPzeit.de