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Entdecker, Spürnasen und Rebellen

Charaktere für Gaslight-LARP

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Kategorie: Konzepte News/Blog Veranstaltungen

„... dies Jahrhundert der Revolution, das den Sturz des Absolutismus, den Sieg des Bürgertums und das Heranwachsen der Sozialdemokratie erlebte; dies Jahrhundert der Kritik und Wissenschaft, das unsere Ideen von Gott und der Welt über den Haufen warf und uns gebot, von unten anzufangen; dies Jahrhundert der Erfindungen, welches das Tempo unseres Lebens verzehnfachte und unsere Körperkraft kaum verdoppelte ... es hat uns ... müde gemacht ...“

 (Arne Garborg in „Müde Seelen“)

Kaum eine Epoche der Geschichte besteht aus so krassen und gleichzeitig spannungsgeladenen Gegensätzen wie das 19. Jahrhundert, in dem die LARP-Konzepte des Steampunk und Gaslight angesiedelt sind. Gleichzeitig ist das 19. Jahrhundert aber auch eine Zeit, die uns heute sehr nah erscheint, da sie das moderne, technisierte Leben einläutete – und damit vielleicht auch die Angst vor den rasenden Entwicklungsschritten, die auch heute noch so manchen „Technikfeind“ befallen. Die Angst vor den Auswirkungen einer veränderten Umwelt saß auch schon damals tief. Wie der Massenmörder Jack the Ripper es angeblich treffend zusammengefasst hat: „Eines Tages werden die Menschen sagen, ich habe das 20. Jahrhundert geboren.“ Seine Taten waren es, die das verwahrloste und brutale Leben in den viktorianischen Slums in die Öffentlichkeit brachte, aber auch die Polizei vor neue Herausforderungen stellte – denen sie mit modernen Untersuchungsmethoden begegnen musste. Vor allem aber ist das viktorianische Zeitalter die Zeit des erstarkenden Bürgertums, der Ladies und Gentlemen.

 

 

Age of Machinery – Zeitalter der erwachenden Technik

Das 19. Jahrhundert war, wie das einleitende Zitat zeigt, eine schnelllebige Zeit, eine Zeit der Veränderungen. Vor allem im Bereich der Technik und der Wissenschaften gab es bahnbrechende Erfindungen, die das Leben der Menschen einerseits vereinfachten, andererseits aber Verunsicherung und negative Entwicklungen für das Leben der Menschen hervorriefen.

Die Dampfmaschine war, misst man ihre Bedeutung an der geschichtlichen Entwicklung, der Computer des 19. Jahrhunderts. Sie erlaubte es, schneller und bequemer große Entfernungen zu überwinden, mit einer Dampflok nämlich. Aber genauso war diese Erfindung dafür verantwortlich, dass der industrielle Fortschritt mit großen Fabriken um sich griff. Die bislang eher ländliche Umwelt und das soziale Leben in ihr wurden zerstört, und die Menschen wurden vor allem in der Nähe der wachsenden – oder besser wuchernden – Städte aus kleinen Handwerksbetrieben in unfallträchtige Massenfabrikationsanlagen gezwungen. John Ronald Reuel Tolkien entwickelte später aus dem schmutzigen und unfallgefährdeten Fabrikarbeiter der viktorianischen Zeit, der unter ärmlichen und bildungsfernen Umständen lebte, die Idee seiner Bösewichte. Die Orks, die dem Zauberer Saruman und dem Erzfeind Sauron dienen, sind Abbilder dieser neuen „Menschenart“, die das Tageslicht nicht sah, da sie untertage oder in Fabrikhallen von früh bis spät abgestumpft ackerte und von ihren Herren als Werkzeug missbraucht und gequält wurde. Aber auch für die Arbeiter begann sich trotz aller Übel langsam etwas zu bewegen. Politische Parteien erkannten das Potential dieser Schicht, Gewerkschaften begannen sich zu etablieren.

In der Literatur, die die ersten Science-Fiction-Romane hervorbrachte, war das Vertrauen in die Dampfkraft so groß, das mit ihr fast alle Entfernungen und Schwierigkeiten überwunden werden konnten. Jules Verne thematisierte das veränderte Reisen mit seinem Roman In 80 Tagen um die Welt, in dem der Held Phileas Fogg mit diversen technischen Hilfsmitteln die Welt bereist, um eine Wette zu gewinnen. Die Welt rückte näher zusammen, bislang als unerreichbar angesehene Ziele wurden Wirklichkeit.

Die Strecken für die Dampfloks wurden ausgebaut. Der amerikanische Kontinent wuchs durch einen Schienenstrang zusammen, aber auch in Europa breitete sich das Schienennetz in unwegsame und bislang unerschlossene Gegenden wie zum Beispiel ins schottische Hochland aus. Schiffe, die mit Dampfkraft betrieben werden konnten, ersetzten nach und nach die alten Segler und ließen den Handel weiter aufblühen. In der englischen Hafenstadt Portsmouth liegt auch heute noch im historischen Dock die HMS Warrior, der Stolz von Queen Victorias Flotte und eine Mischung aus Segelschiff und Dampfer.

 

 

Zeitalter des Imperialismus

Vor allem für das Entstehen und Wachsen des englischen Empires waren diese Entwicklungen notwendig. Ebenso bedeutend war der Entdeckergeist dieser Zeit: Forschungsreisende machten sich in den Dschungel auf, um die unbekannten Landstriche Afrikas oder die weiten Wüsten Australiens zu erforschen und für ihre Heimatländer in Besitz zu nehmen. Die Sonne geht in meinem Reich nicht unter! lautete der selbstbewusste Ausspruch des Empires. – Dieser Ausspruch ist zwar geklaut aus dem viel früher entstandenen Don Carlos von Schiller, wird aber trotzdem oft auf das britische Empire angewendet. Die von England als Seemacht kontrollierten Gebiete erstreckten sich über die ganze Weltkugel – Britannia rule the waves! Heute bilden viele dieser ehemaligen britischen Kolonialstaaten das Commonwealth of Nations mit der britischen Königin als Oberhaupt. Manche Staaten, auch wenn sie autark sind, erkennen die Königin immer noch als symbolischen Herrscher an, wie Kanada, Neuseeland oder Australien.

England war im 19. Jahrhundert noch die bedeutendste Macht, militärisch und wirtschaftlich, was sich auch in einem extremen Nationalund Selbstbewusstsein ausdrückte. Aber auch die anderen europäischen Staaten hatten kein schlechtes Gewissen, sich fremde Völker untertan zu machen, die sie als „primitiv“ ansahen. Neben England war auch Deutschland einer der großen Imperialstaaten, der vor allem in Afrika Kolonien errichtete (z.B. Deutsch-Südwestafrika im heutigen Namibia oder Deutsch-Ostafrika, das die heutigen Länder Burundi, Ruanda und Teile von Tansania umfasste).

Auch in den aufgeklärten Ländern, die sich durch Revolution von der adligen Führungsschicht oder einem ungeliebten Landesherrn befreit hatten, gab es noch diese Strömungen. So fand zwar in den amerikanischen Kolonien der Unabhängigkeitskrieg und damit das Aufbegehren gegen die englischen Kolonialherren statt, und die Freiheit des Einzelnen wurde hochgehalten, doch das hinderte die neuen Amerikaner nicht, die Ureinwohner Amerikas in Reservate zu stecken oder Sklaven aus Afrika zu importieren. Einerseits faszinierte der „edle Wilde“ wie die Einrichtung von Völkerschauen in europäischen Zoos zeigte oder die noch heute berühmte ägyptischen Ausstellung im British Museum, andererseits aber hatte das Leben eines einfachen Menschen oder eines Menschen einer sogenannten „niederen Rasse“ wenig Wert und wurde eher wie eine Ware betrachtet, die rücksichtslos ausgebeutet (oder eben in einem Zoo ausgestellt) werden konnte.

Authentische Überlieferung

Einer der größten Erfinder dieser Zeit – und wahrscheinlich auch noch bis heute – ist der Amerikaner Thomas Alva Edison. Er war nicht nur maßgeblich an der Entwicklung der elektrischen Beleuchtung durch die Erfindung der Glühbirne beteiligt, sondern wir verdanken ihm auch die ersten wirklich authentischen Zeugnisse zum Aussehen und Wesen der Menschen. Edison erfand zum Beispiel den Phonographen, mit dessen Hilfe man die Stimme eines Menschen aufzeichnen konnte. Eine Rede des englischen Premierministers Gladstone aus den Jahren

um 1880 ist eines der ersten Dokumente, die die Stimme eines Menschen überliefert – und überdeutlich macht, dass er aus Schottland stammte. Aus früheren Zeiten sind gemalte Porträts meist berühmter (adliger) Menschen für eine Interpretation der Zeit von Bedeutung, das 19. Jahrhundert sah die Entwicklung der Fotografie und später auch der bewegten Bilder (mit dem Kinematographen, der ebenfalls von Edison entwickelt wurde). So war Königin Victoria von England, nach der zum zweiten Mal in der englischen Geschichte der Einfluss einer Königin eine Epoche benannte (die erste war Königin Elizabeth I.), die erste britische Monarchin, die fotografiert wurde. Später ließ sie sich auch als erste Herrscherin filmen. Aber nicht nur der Adel wurde auf die Fotoplatten gebannt. Auch die Gesichter der „einfachen“ Menschen fanden so zum ersten Mal ihren Einzug in die Archive.

 

 

Ladies and Gentlemen – Eine Klasse für sich

Gib dich jeder Frau gegenüber so, als wärest du in sie verliebt, und jedem Mann gegenüber, als sei er dir überlegen – und bald wird man dir den Ruf eines vollendeten Gentleman neiden. (Oscar Wilde)

Was das 19. Jahrhundert sozial am stärksten kennzeichnete, war der Aufstieg des Bürgertums, auch wenn diese neue gesellschaftliche Klasse nicht einheitlich war oder ist. Viele Kritiker dieses Standes bezeichneten diese Klasse als drugged with business – besessen vom wirtschaftlichen Erfolg und Materialismus. Sie brachte die Gesellschaft in Schwierigkeiten, indem ihre Vertreter das soziale Ungleichgewicht zwischen Arm und Reich förderten und so Unruhe in die etablierte gesellschaftliche Ordnung brachten. Sie war es aber auch, die England an die damalige Spitze der Weltmächte katapultierte, indem sie das Land zum workshop of Europe, der Werkstatt Europas, machte.

Die Mitglieder dieser neuen, aufsteigenden Klasse bewegten sich zwischen der Arbeiterklasse unter sich und dem Adel über sich. Die Mittelklasse war dabei keine homogene Gruppe, sondern unterteilte sich in geringere, mittlere und gehobene Mittelklasse, die jeweils für einen gewissen Lebensstil standen. An ihrer Spitze standen die Gentlemen, die durch ihren Reichtum und ihre Manieren aufgestiegen waren: Fabrikbesitzer, Industrielle oder Kaufleute. Auch wenn viele dieser reich gewordenen Industriellen in der gesellschaftlichen Stellung dem Adel oft gleichgesetzt wurden, bezeichneten dessen Vertreter sie abwertend als „neureich“.

Die Mittelklasse stand in dem Ruf, sich skeptisch gegenüber neuen Ideen zu verhalten – und das in einem Zeitalter, in dem Ideen der Motor der Entwicklung geworden waren. Sie galt als traditionell veranlagt, auf die puritanische Vergangenheit zurückblickend und sie lebend. Ihre Mitglieder wurden in Anlehnung an die Bibel als Philister (die Erzfeinde der Israeliten) bezeichnet, um den Gegensatz zum auserwählten Volk, dem Adel, auszudrücken. Dennoch kann nicht bestritten werden, dass gerade die Mittelschicht eine sehr intellektuelle Klasse bildete, sich für Philosophie und dem Streben nach Wissen und Kunst einsetzte.

In der Gesellschaft am Ende des 19. Jahrhunderts, in der so genannten Strömung des Fin de siécle, entstand allerdings auch eine dekadente und aufbegehrende Lust an den verbotenen Dingen des Lebens. Davon zeugen sich ausbreitende Geschlechtskrankheiten wie Syphilis oder die Opiumsucht. Auch das große öffentliche Interesse an grober Brutalität – wie an den Morden Jack the Rippers oder an düsteren literarischen Personen wie Dr. Jekyll oder Dorian Gray – demonstriert diese Entwicklung eindrucksvoll. „The only way to get rid of a temptation is to yield to it“, sagt Lord Henry Wotton im Werk Oscar Wildes. Man muss sich einer Versuchung ergeben, um sie zu überwinden.

Dem gegenüber stand eine Tendenz, der Wirklichkeit in kleine heile Welten zu entfliehen. Die Adligen und gehobene Mittelklasse zogen sich gerne auf ihre Landsitze zurück, um die dreckigen Städte, deren Lärm und Armut hinter sich zu lassen und entwickelten eine abgeschlossene Kultur, die sich äußerlich durch nichts erschüttern ließ. Persönliche Tragödien wurden bewusst ignoriert und unter einem Deckmantel verborgen. Manieren und überzogenes höfisches Gehabe dienten als Schutz vor der Realität. Gegen diese Mentalität wiederum zogen aufrührerische Geister in den Kampf, versuchten die Realität des Schmutzes der industriellen Städte und die Ungerechtigkeiten des Klassensystems oder der Gesellschaft an sich anzuprangern.

 

 

Ideen für Charaktertypen

Das Gaslight ist eine Spielart des LARPs, die sich vielleicht mehr als andere an eine historische Epoche und deren Begebenheiten anlehnt. Der Erfindergeist, der Wagemut, die Neugierde und die Lust an Verbrechen oder Geheimnissen finden sich auch in den Charakteren, die sich in den Plots häufig der Lösung von Rätseln verschreiben. Meistens werden diese Charaktere, die sich hiermit befassen können, einen gewissen intellektuellen Hintergrund haben müssen. Aus diesem Grund sollen hier typische Vertreter der Mittelklasse und ihrer Zeit und ihre Eigenarten in den Vordergrund rücken, auch wenn sich sicherlich der eine oder andere interessante Charakter im Bereich der Arbeiterklasse oder des Adels finden lässt. Aus diesem Grund ist es vielleicht ein guter Ansatzpunkt, in der ausgeprägten und ausdrucksstarken Literatur dieser Epoche zu schmökern, um einen reizvollen Gentleman oder eine Lady als Vorlage zu finden. Ein paar Lesetipps gibt es unter dem Punkt Literatur am Ende des Artikels.

Der Journalist – Charles Dickens

Das 19. Jahrhundert sah auch den Aufstieg der Zeitungen, die im Zeitalter der Romantik ihre ersten mächtigen Organe zur Meinungsbildung gegründet hatten. In England wuchs die Zahl dieser Journale sprunghaft an, sie wurden auch von immer mehr Menschen gelesen, erhielten dementsprechend eine Machtposition, wenn sie Missstände oder Schlampereien aufdeckten. Aus diesem Grund kann der Journalist, der seine Nase neugierig in alles hineinsteckt, was ihn im Grunde nichts angeht, eine interessante Persönlichkeit werden. Er sollte ein unerschütterliches Selbstbewusstsein an den Tag legen können, da er sicherlich einigen Anfeindungen von angeblich verleumdeten Personen begegnen und immer wieder nachhaken muss. Die Wahrheit, oder das, was er dafür hält – seine Story eben – , geht ihm über alles. Deshalb ist er vielleicht auch in den höheren Kreisen, die ihre persönlichen Tragödien lieber hinter dem Smalltalk verbergen, nicht gern gesehen. Er sollte über gute Kontakte zur Polizei und Politik verfügen, um an neue Insiderinformationen zu kommen. Er kann aber auch für jeglichen Ermittler zu einer Quelle werden, da er Einblick hat in die verschiedenen Milieus – sich aber zwischen ihnen bewegen kann.

Einer der bedeutensten Kritiker seiner Zeit war Charles Dickens, der heute vor allem als Romanautor (Oliver Twist, Eine Weihnachtsgeschichte) bekannt ist. Er prangerte mit seinen Aufsätzen (Pickwick Papers) und Schriften die Zustände für die Arbeiterklasse an, zeigte ungeschminkt Elend und Armut. Dickens selbst stammte aus einem bürgerlichen Elternhaus, war also auch Mitglied der Mittelklasse.

Der Forschungsreisende – Charles Darwin

Die weißen Flecken auf den Weltkarten sollten sich im 19. Jahrhundert verkleinern. Forschungsreisende machten sich auf, das Herz Afrikas, den nahezu unerforschten inneren Teil Australiens oder die Antarktis und den Nordpol zu erforschen. Die Archäologie und damit die Faszination für fremde Kulturen – durch den „Fluch des Pharao“ aber auch das Misstrauen vor ihnen – förderte bedeutende Entdeckungen zutage, wie die Entdeckung des Steines von Rosette, der die Entschlüsselung der ägyptischen Hieroglyphen erst möglich machte. Auch die Biologie profitierte von ausgedehnten Forschungsreisen: Ein berühmtes Beispiel für einen reisenden Wissenschaftler war Charles Darwin, der die moderne Evolutionstheorie begründete. Mit dem Forschungsschiff „Beagle“ bereiste er die Weltmeere und fand auf den Galapagosinseln in den nur dort existierenden Lebewesen wichtige Inspiration für sein bedeutendes Werk „Die Entstehung der Arten“.

Der Forschungsreisende ist ein Abenteurer mit einer Mission. Er muss extreme Bedingungen im Eis, am Berg, auf einem Schiff oder in der Wüste über Wochen und Monate aushalten können, ohne zu murren. Gleichzeitig ist er ein Gelehrter, der genau weiß, was er will: den Ruhm einheimsen für eine Entdeckung, dahin gegangen zu sein, wo nie zuvor jemand vor ihm gewesen ist – zumindest kein Europäer. Er bringt die Attitüde der europäischen Imperialisten und die selbstbewusste Arroganz seiner Klasse in die Fremde, ist überzeugt von seiner Gelehrsamkeit und Überlegenheit, wird sich also entsprechend hochnäsig und von sich eingenommen präsentieren. Bei wem er allerdings recht bescheiden sein dürfte, sind die Gönner und Geldgeber seiner Forschungsreisen. Er steht also auch vor einem gewissen Erfolgsdruck, will er seine Arbeit beenden.

 

 

Der Detektiv – Sherlock Holmes

Er oder sie ist fasziniert von Verbrechen – ohne jedoch auf die „dunkle Seite“ abzudriften. Ein Detektiv ist davon getrieben, Verbrechern das Handwerk zu legen. Vielleicht steht im Hintergrund eine persönliche Tragödie wie der Verlust eines geliebten Menschen, ein Interesse an modernen Verfahren der Ermittlung, sprich eine Faszination für die Wissenschaft, oder einfach ein Drang, die erlebte äußerst verkommene Welt ein wenig besser zu machen. So macht der wahrscheinlich berühmteste Detektiv der (Literatur-)Geschichte, Sherlock Holmes, Professor James Moriarty für die meisten Verbrechen, die er aufdeckt, verantwortlich. Er erkennt hinter ihnen eine gewisse Methode und einen größeren Zusammenhang. Moriarty agiert dabei wie ein viktorianischer Pate und wird dadurch zum Erzfeind Holmes. Ohne das Verbrechen wäre der Detektiv nicht ins Leben gerufen worden, er verdankt nicht nur seine Arbeit sondern seine bloße Existenz den Verbrechern – auch wenn er manchmal nahe daran sein kann, an ihnen zu verzweifeln. Sherlock Holmes als Schöpfung von Sir Arthur Conan Doyle ist ein perfekter Gentleman und auch einer der ersten Ermittler, die ihren Spürsinn und ihre Logik für die Aufklärung von Verbrechen nutzten. Wenn alles andere ausgeschlossen werden kann, muss folgerichtig das, was übrig bleibt, die Wahrheit sein. Durch seine Kombinationsgabe, dem Sammeln von Hinweisen und genauer Untersuchungen der Orte des Verbrechens wirkt Sherlock Holmes heute noch fort und hat das Bild des modernen Ermittlers mitgeprägt. Seine Sensibilität wird im Geigenspiel deutlich, er ist kultiviert, belesen und kann sich in den gehobenen Kreisen ohne Probleme bewegen. Aber er hat auch dunkle Seiten, z.B. die Opiumsucht. Sein Schatten ist Dr. Watson, der den Junggesellen auf dem Boden der Tatsachen hält, auch wenn er selbst seinen Freund immer wieder mit seiner Schlauheit überrascht.

Wichtigstes Utensil für den Detektiv ist sicherlich ein Vergrößerungsglas, um die Genauigkeit der Untersuchungen, das aufmerksame Hinsehen, zu verdeutlichen. Gleichzeitig ist Holmes wagemutig und riskiert oft genug seinen eigenen Hals, wenn er durch seine Ermittlungen in das Fadenkreuz der Mörder und Diebe gerät. So steht ein Detektiv auch immer an der Grenze zum Verbrechen und muss darauf achten, dass er ihm durch seine Handlungen nicht verfällt, sich nicht korrumpieren oder zu Gewaltakten hinreißen lässt, selbst wenn es seinem Fall zugute käme.

Der charmante Dieb – Arsène Lupin

Der Gentleman-Verbrecher (oder ein entsprechendes weibliches Pendant) ist ein hinreißende Schuft, der mit einem Augenzwinkern im Vorbeigehen die Perlenkette vom Hals der Operndiva oder die Taschenuhr aus der Weste des Gastgebers mitgehen lässt, dem man aber aufgrund seines Charmes seine Untaten großzügig verzeiht. So ist die Schöpfung Maurice Leblancs, Arsène Raoul Lupin, im Grunde so etwas wie der dunkle Zwilling des englischen Meisterdetektivs Holmes. Keineswegs aus schlechtem Hause wählt Lupin den Weg des brillanten Meisterdiebs, ist aber ebenso charmant und clever wie sein großes Vorbild Holmes. Bei seinen Raubzügen beweist er exquisiten Geschmack, stiehlt unter anderem die Mona Lisa. Oft genug avanciert ein solcher Charakter auch zum Helfer der Polizei, indem er Unmoralisches aufdeckt. Er ist gerissen und intelligent, was ihn zu einem Meister der Tarnung und Täuschung macht, dennoch bleibt er meist Gentleman oder vollendete Lady und verabscheut Gewalt. Einen solchen charmanten Dieb zu spielen, erfordert sicherlich ein ebenso großes Talent wie einen genialen Detektiv darzustellen. Dennoch bietet dieser düstere Charakter mit dem guten Kern viele Facetten, die Spielspaß bringen können.

 

 

Manners before morals: Der Dandy – Dorian Gray

Als eine der beiden typischen Figuren des 19. Jahrhunderts ist der Dandy ein Mensch, der sich selbst in Szene setzt, sein Ich zu einer Kunstfigur gestaltet, meist blasiert und vornehm, hinter der er sich bestens verstecken kann und will. Dorian Gray aus dem Werk Oscar Wildes geht sogar so weit, seine Sünden, die er begeht, um den Versuchungen Herr zu werden, seinem Porträt aufzubürden, das sich daraufhin immer mehr in einen hässlichen alten Mann verwandelt, während Dorian Gray weiter wie ein gut aussehender Salonlöwe die Herzen der Frauen und der Gesellschaft mit seinem Charme erobern – und auch seine Verbrechen verüben kann. Er zeigt perfekte Manieren, was ihm fehlt, ist ein Bewusstsein für die moralischen Abgründe, in die er sich begibt und dort schreckliche Taten begeht. Er erforscht die Abgründe der menschlichen Seele, zu was sie fähig sein kann, ohne wirklich Anteil daran zu nehmen. Vielmehr mokiert er sich gerne über die Gesellschaft, indem er zu ihrem verzehrten Spiegelbild wird. Oscar Wilde selbst galt als der Prototyp des Dandys, den er in seinen zahlreichen Komödien gekonnt und humorvoll auftreten ließ. Doch Wilde bezahlte für sein extrovertiertes Leben. Wegen Sodomie wurde der Lebemann eingekerkert und starb depressiv nach seiner Entlassung in Frankreich. Der Dandy trägt die neueste Mode, aber immer etwas überzogen, seine Manieren sind tadellos, wenn auch nur Fassade. Er trägt seinen offensichtlichen Wohlstand zur Schau. Den Frauen gegenüber ist er ein Charmeur, auch wenn er sicherlich wenig echtes Interesse an ihnen haben dürfte.

Blaustrumpf – Florence Nightingale

„Heute gibt es keine Romantik mehr, die Frauen sind zu intelligent geworden. Nichts verdirbt die Romantik so gründlich, als wenn die Frau Sinn für Humor hat.“ (Oscar Wilde)

Sie mussten sich als Blaustrümpfe beschimpfen lassen, gebildete Frauen, die sich für die Rechte der Frauen in der Gesellschaft einsetzten. Im Zuge der Französischen Revolution war die Gleichheit der Menschen propagiert worden, im 19. Jahrhundert forderten die Frauen zum ersten Mal in der Geschichte umgreifend ihre Gleichheit ein, versuchten als emanzipierte Frauen ihre Möglichkeiten in der Gesellschaft zu entdecken. So wollten sie durch das Wahlrecht Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen können und sich durch bessere Bildungschancen einen höheren Status in der Gesellschaft erarbeiten, kämpften somit auch für den Zugang zu den Universitäten. Ein schönes Rollenvorbild ist Florence Nightingale, eine hochintelligente und willensstarke Frau aus gutem Haus. Sie war zwar keine Frauenrechtlerin, rebellierte aber bereits früh gegen den gesellschaftlichen Konventionen entsprechenden Lebensweg. Statt zu heiraten beschäftigte sie sich gegen den Willen ihrer Familie mit der Krankenpflege, einem zur damaligen Zeit wenig angesehenen Beruf. Nightingale arbeitete während des Krimkriegs (1853 bis 1856) unter katastrophalen Bedingungen in einem englischen Feldhospital und genießt daher bis heute in Großbritannien große Verehrung.

Der Blaustrumpf ist ein kämpferischer Charakter, der ein dickes Fell haben muss. Vielleicht steht sie sogar ständig in Opposition zu ihrer Umgebung. Sie muss ihre Grenzen erforschen, sicherlich nicht, ohne bei den traditionelleren Charakteren anzuecken und diese herauszufordern. Dazu bedarf es einer gewissen Eloquenz und einer spitzen Zunge, um sich nicht einschüchtern zu lassen. Den „angepassten“ Frauen steht sie oft wenig freundschaftlich gegenüber. Zumindest sollte sie in sich einen gewissen Missionierungsdrang verspüren, den sie auf jeder Dinnerparty mit einem für Frauen unangemessenem Verhalten ausleben kann.

 

 

Der Wissenschaftler und Erfinder – Dr. Jekyll

Die Wissenschaft ist der Motor der 19. Jahrhunderts. In allen Bereichen des Wissens werden phänomenale Entdeckungen gemacht. Gleichzeitig steckt auch hier in der Gesellschaft ein tiefes Misstrauen gegen die Neuerungen, nahezu abergläubische Ängste geistern durch die Köpfe. So ist die Erforschung der Seele, des Charakters eines Menschen, immer noch etwas, das die Menschen ängstigt. Wo sitzt die Seele? Woraus besteht sie und wie formt sich der Charakter? Die Phrenologie (siehe Medicus in dieser Ausgabe) suchte den Charakter eines

Menschen in den Ausprägungen seines Schädels. Doch ein Dr. Jekyll würde noch weiter gehen und unkonventionelle Wege einschlagen. Selbst der perfekte Gentleman erschafft er mit einem Elixier die Möglichkeit, sich von seinen negativen Eigenschaften, Lust, Brutalität oder Genusssucht zu befreien, indem er sie abspaltet. Daraus entsteht das Monster Mr. Hyde, das zwar menschlich, aber mit seltsam verzehrtem Gesicht und Körper die Straßen unsicher macht, sogar in einem Wutausbruch mordet. Die Suche nach dem Fortschritt und der Verbesserung der Welt trieb seltsame Blüten in den Vorstellungen, so dass es zu einem interessanten Experiment werden könnte, einen Wissenschaftler im 19. Jahrhundert gleich welcher Fachrichtung aufzubauen. Der Wissenschaftler ist nahezu besessen von seinen Forschungen und Zielen und vernachlässigt dadurch sein restliches Umfeld, vielleicht auch in gewisser Weise sein Äußeres, so dass er immer etwas deplatziert und abwesend wirken darf. Er ist natürlich belesen, aber auch ein Querdenker, der hinterfragt und kreativ arbeitet.

 

 

Empfehlenswerte Bücher zur Einstimmung auf das Abenteuer Gaslight

Edgar Allan Poe: Detektivgeschichten. Im Original „Tales of Ratiocination“.

Oscar Wilde: Das Bildnis des Dorian Gray. Im Original „The Picture of Dorian Gray”; Das Verbrechen des Lord Arthur Savile. Im Original „Lord Arthur Savile’s Crime“

Überhaupt eignet sich Oscar Wilde sehr gut, um seinem Charakter etwas Pepp zu geben. Der irische Schriftsteller ist bekannt für seinen charmanten Zynismus, und Sammlungen mit Zitaten zu allen möglichen Themen sind für kleines Geld zu haben!

Robert Louis Stevenson: Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Im Original „The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde“.

Joseph Conrad: Herz der Dunkelheit. Im Original „Heart of Darkness“; oder auch Lord Jim

Sir Arthur Conan Doyle: die Detektivromane um Sherlock Holmes

Charles Dickens: zum Eintauchen in das harte Leben der einfachen Leute

Wolfgang Hohlbein: Horus

Maurice Leblanc: die Romane um Arsène Lupin

 

Text: Anja Grevener

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