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Gottes Mühlen

Ein Klosterspiel im 12. Jahrhundert

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Kategorie: News/Blog Veranstaltungen

Es ist wie das lautlose Atemholen des Allmächtigen, als in der Erwartung der Glocken, die zur Abendandacht rufen, Stille über das Kloster Bodenberg fällt. Bruder Bohemund sitzt allein auf einer Bank, vielleicht in ein stilles Gebet versunken. Der Abend hat bereits seinen blauen Schleier über das Kloster gelegt, als sie sich still neben ihn setzt. Er muss den Blick nicht in ihre Richtung wenden, um zu wissen, dass es niemand anderes als Schwester Johanna ist. Sie, deren Visionen das Kloster sogar in den Fokus des Heiligen Stuhls gerückt haben. Da ist nichts, nur die hauchzarte Berührung ihrer Finger in der Dämmerung. Und Bohemunds Qual, dass er Schwester Johanna nicht allein wie eine Schwester liebt, dass er mit jedem Atemzug in ihrer Nähe eine Sünde begeht und Sünde begehrt.

Ungefähr so hat das Larp Gottes Mühlen für mich beziehungsweise meinen Charakter Bruder Bohemund begonnen. Eine wunderbare Mischung aus Der Name der Rose und Hildegard von Bingen mit Drama, Intrigen und einem großartigen Ambiente. Dann ging es auch schon los: Nicht lange nach der ersten Abendandacht (das lateinische Pater Noster war da noch ein bisschen holprig, aber das sollte sich im Laufe des Wochenendes noch ändern) kommt die Gesandtschaft des päpstlichen Legaten an, samt der Stifterfamilien von Bodenberg und Metten. Plötzlich gibt es Farben inmitten der braunen und schwarzen Klostertrachten! Plötzlich herrscht Aufruhr in der bescheidenen Gemeinschaft.

Natürlich geht es darum, den Wahrheitsgehalt der Visionen von Schwester Johanna zu prüfen – aber auch die wirtschaftlichen und sonstigen Vorgänge im Kloster sollen einer Inspektion unterzogen werden. Der Abt des Kosters, ebenfalls ein Bodenberger (jaja, diese Familie hat es in sich …), der vielleicht zu Spielbeginn noch auf eine schöne, ruhige Ambienterolle gehofft hatte, in der er huldvoll umherschreiten und mit Segen und mildem Tadel um sich werfen kann, wusste spätestens jetzt, dass es mit der Entspannung vorbei war.

Auch am folgenden Tag ging es rasant weiter. Es kam zur „Hosenaffäre“, als eine der Hosen (wie viele es tatsächlich waren, ist bis heute nicht gänzlich geklärt), die aus der Obhut des Vestiarius verschwunden waren, am Balkon wieder auftauchte und für entsetzte Blicke, ob der Unanständigkeit des Kleidungsstückes, sorgte. Ein kurzer Moment von so etwas wie Humor und spielerischer Leichtigkeit in diesem ansonsten durchwegs ernsten – und ernstgenommenen! – Setting.

Der altehrwürdige Hlothar hörte eine Gans reden, die ihn an seine bittere Jugend im ersten Kreuzzug und andere schauerliche Dinge erinnerte. Hier hat die Spielleitung übrigens ganz wundervoll recherchiert, denn es gibt tatsächlich die Geschichte einer Gans, aus der eine göttliche Stimme gesprochen haben soll, die die Menschen zum Kreuzzug aufgerufen hat.

Nach und nach griffen Verunsicherung und Chaos um sich – doch alles immer in diesem stillen, klösterlichen Rahmen, der meiner Meinung nach dieses Larp zu etwas ganz Besonderem gemacht hat. Auch die Tischlesungen, die bei den schweigend (!) eingenommenen Mahlzeiten vorgetragen wurden, leisteten ihren Teil, um diese klösterlich beklommene Stimmung noch zu verstärken. Die emotionale Achterbahn der Spielerinnen und Spieler zeigte sich in den Blicken während der Andachten, in leise einander zugeflüsterten Worten, in verstohlenen Gesten während der Arbeitsstunden. Es war ein schwelendes Drama, das emotional umso tiefer drang, weil es nicht hinausgeschrien wurde.

 

 

Dann verkündete der päpstliche Legat, dass die Visionen von Schwester Johanna wohl nicht vom Teufel kämen, man ihr also immerhin zögerlich Gehör schenke. Aber da war es ohnehin schon zu spät – Johanna wusste bereits ganz genau, wo ihr neues Kloster entstehen sollte, was zu weiteren klosterinternen und familiären Tragödien und Intrigen führte.

Bohemund ist hin und her gerissen. Seit seiner Geburt war er dazu bestimmt, jenes Kind seiner Eltern zu sein, das Gott geweiht wird. Kein anderes Leben gab es je für ihn als das Leben eines Mönchs. Zu beten und zu arbeiten, der Regel des Heiligen Benedikt zu folgen, hat seine eigene innere Schönheit, doch darüber hinaus gibt es noch ein Leben, eine Welt, die er nie gesehen hat. Da ist es ausgerechnet Bruder Goldmund, der begnadete Illustrator, der mit seiner herrlichen Stimme jede Mahlzeit mit Lesungen aus der Heiligen Schrift begleitet, der Mönch, welcher im Kapitel der fleischlichen Sünde überführt wurde und der Bohemund anbietet, mit ihm zu flüchten. Das Leben, das er bisher kannte, hinter sich zu lassen, neu zu beginnen. Mit Bohemunds Lateinkenntnissen und dem Talent Goldmunds könnten die beiden jungen Männer sich gewiss in der Welt jenseits der Klostermauern durchschlagen …

Verschiedene Interessen und Ziele innerhalb der Klostergemeinschaft prallten aufeinander. Fast alle Nonnen wollten Schwester Johanna folgen, der Abt versuchte verzweifelt, sein Kloster zusammenzuhalten. Dazwischen blitzte der Konflikt um die Novizin Herzeloyd auf, die eigentlich ins Kloster gekommen war, weil sie mit der Auswahl an Ehekandidaten ihres Vaters nicht zufrieden war, Novizin Gerberga, die erst heraus­ finden musste, wessen Kind und ob sie überhaupt getauft war, Bruder Goldmund, der begreifen musste, dass er für den Selbstmord einer Schwester zumindest mitverantwortlich war, der Abt, der ein Verbrechen seiner Familie sühnen musste und seiner einstigen großen Liebe gegenüberstand, die er niemals erlangen konnte.

Das große Talent der Orga zeigte sich in diesen vielen, nur scheinbar kleinen Details in den Charakteren, die ein eng verwobenes Netz bildeten, in dem man sich verlieren konnte, das Möglichkeiten und Abgründe auftat, die dieses Larp zu etwas ganz Besonderem machten. Für so gut wie jeden Charakter ergab sich innerhalb dieses Mikro kosmos, der sich über kaum mehr als einen Tag erstreckte, ein Scheideweg, der für innere und äußere Konflikte sorgte, ohne in der Manier einer „Samstagabend-Eskalation“ nach außen hin zu explodieren. Eine einzige rasante Ausnahme bildete nur der schauspielerisch glänzend dargestellte Durchfall von Bruder Heinrich …

 

 

Da steht er nun, der arme Tor …

Der altehrwürdige Hlothar hat Bohemund angeboten, fortan im Skriptorium zu arbeiten, der Infirmarius würde ihn in die Heilkunst einweihen, da sind Bruder Goldmund, der ihn zur Flucht und einem vollkommen neuen Leben überreden will, – und Schwester Johanna, die ihn auf den Weinberg mitnehmen möchte, wo sie ihr neues Kloster gründen wird. Und Bohemund? Er weiß, dass er zu schwach ist, um neben Schwester Johanna seine Tugend zu bewahren. Er würde an ihrer Nähe zugrunde gehen, doch ohne sie kann er sich auch kein Verbleiben im Kloster vorstellen. Weinend sinkt er da vor ihr nieder, gräbt sein Gesicht in den Saum ihres Habits, netzt den schwarzen Überwurf mit seinen Tränen, die nicht versiegen wollen. Und doch erwächst dort, zu Johannas Füßen, ein Beschluss in seinem Herzen: Er wird nicht für immer nur Mönch bleiben. Er wird das Priesteramt anstreben und wenn sich die Wogen im Kloster Bodenberg geglättet haben, wird er auf eine Pilgerfahrt gehen. Wer weiß, wohin Gottes Fügung ihn leiten wird – und vielleicht … vielleicht wird er eines Tages auf jenen Weinberg kommen, auf dem seine geliebte Johanna ein blühendes Kloster errichten wird …

Die Gefahr bei einem so engmaschig gecasteten Spiel ist immer, dass gerade wichtige Rollen allzu kurzfristig wegbrechen und nachbesetzt werden müssen. Grundsätzlich hätten diesem Fall die Springer vorbeugen sollen, doch wenn es zu viele knappe Absagen gibt, kann es auch da eng werden. Die Sorge der Orga/SL, dass in diesem Fall die nachbesetzten Spielerinnen und Spieler im Vorfeld zu wenig mit den übrigen Teilnehmern kommunizieren und sich mit dem ganzen Spielkonzept auseinandersetzen, war verständlich.

Auch wenn es tatsächlich zu der einen oder anderen eher knappen Nachbesetzung gekommen ist, hat das, soweit ich es beobachten konnte, zu keinen Nachteilen für das Spiel geführt. Wahrscheinlich hat dies damit zu tun, dass bei Gottes Mühlen fast durchgängig recht erfahrene Spielerinnen und Spieler teilgenommen haben, denen bewusst war, dass ein gutes Spiel nur zustande kommen kann, wenn alle dazu beitragen. Abschließend möchte ich anmerken, dass ich nicht erwartet hätte, dass die „echte“ Religion, mit der wir hier gespielt haben, mir doch so viel bedeutet hat, dass viele „christliche“ Aussagen der Mitspielerinnen und Mitspieler mich noch einmal ganz anders berührt haben. Danke an alle, die dieses großartige Spiel möglich gemacht haben!

Text: Gudrun Schutting-Wieser
Bilder: Imago Nuntius

 

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