Startseite
Archiv Books/Bücher DIY Im Gespräch Konzepte Magazine News/Blog Pressemitteilungen Sonstiges Tipps Veranstaltungen

Der gute Stoff

Zurück zur Natur

Zur klassischen Webseite

Kategorie: News/Blog

Als ich mit Larp angefangen habe, waren meine ersten Kleidungsstücke aus Baum- wolle. Ich habe trotz mehrerer Lagen im Sommer geschwitzt und im Winter gefroren. Da half nur eine Schicht Thermounterwäsche, und ich fragte mich immer wie- der: Wie haben die das früher gemacht?

Ich machte mich also auf die Suche nach den Stoffen, die bei kalten Temperaturen wärmen und bei Hitze kühlen – und bin bei Naturstoffen gelandet.

 

Stoffherstellung

Zunächst einmal ein kleiner Exkurs in die Welt der Stoffherstellung. Grundsätzlich gibt es viele verschiedene Materialien, aus denen man Stoff herstellen kann. Da sind diejenigen, die in der Natur vor- kommen (Wolle, Leinen, Baumwolle, Hanf etc.), und diejenigen, die aus Erdöl oder durch chemische Prozesse hergestellt werden (Polyester, Polyamid, Acryl, Viskose etc.).1 Letztere haben in der Regel den Nachteil, dass sie nicht biologisch abgebaut werden können.

Leider werden den natürlichen Fasern oft Chemiefasern beigemischt. Zum Beispiel enthält der Stoff dann 60 Prozent Wolle und 40 Prozent Polyamid. Das hat den einfachen Grund, dass die Herstellung einer chemischen Faser wesentlich günstiger ist, als zum Beispiel ein Schaf zu halten, es aufzuziehen, zu füttern, zu scheren, die Wolle aufzubereiten und schließlich zu verarbeiten.

Das Problem mit dem Beimischen von künstlichen Fasern ist, dass das Endprodukt zwar billiger ist als das reine Naturprodukt, die positiven Eigenschaften je- doch verschlechtert werden und der Stoff dadurch unrecyclebar wird und sich auch nicht mehr biologisch abbauen lässt.

 

 

Naturstoffe

Wolle

Wenn wir von Wolle sprechen, meinen wir meistens Schafswolle. Es gibt zwar auch noch Angora-Kaninchen-Wolle, Mohair- Ziegen-Wolle, Kamelhaar und viele anderen Tierhaarsorten, doch diese haben alle ähnliche Eigenschaften und unterscheiden sich in erster Linie nur darin, wie sich die Faser anfühlt.2

Die ersten Funde, die auf die Nutzung von Wolle schließen lassen, stammen aus der beginnenden Bronzezeit. Wollstoff ist der perfekte Stoff für Oberbekleidung, zum Beispiel für Tuniken oder Mäntel. Dicht gewebt ist er wasserabweisend und wärmt selbst bei Nässe. Für den Sommer eignen sich dünne luftige Wollstoffe, die sich an- genehm tragen lassen. Wolle ist schmutz- abweisend, nimmt wenig Gerüche auf und knittert kaum. Durch die temperatur- ausgleichende Eigenschaft des Materials schwitzt oder friert man in Wolle selten.3

Dass manche Wollstoffe als kratzend empfunden werden liegt daran, dass während der Verarbeitung das wolleigene Fett (Lanolin) ausgewaschen wird. Mit Hilfe eines Wasserbades kann das Lanolin wieder aufgebracht werden, so dass der Stoff an- schließend weich und angenehm zu tragen ist und seine wasser- und schmutzabweisende Eigenschaft verbessert wird.

Wollstoffe lassen sich, wie alle tierischen Fasern, gut und intensiv färben. Wolle wird am besten mit der Hand bis etwa 50°C gewaschen (z.B. in der Badewanne) oder mit einem speziellen Woll-Waschprogramm in der Waschmaschine, jedoch nicht mit einem normalen Waschprogramm, da der Stoff sonst verfilzt. Solange man bei Wolle keinen Schleudergang oder sehr hohe Temperaturen benutzt, läuft sie nicht ein. Statt teurem Spezial-Waschmittel reicht auch ein Spritzer Shampoo aus.

Leinen/Flachs

Leinen ist neben Wolle das Mittel der Wahl. Ungefärbtes Leinen wurde jahrhundertelang für Unterbekleidung verwendet, weil es schmutzabweisend und kochfest ist. Ebenso wurden daraus Handtücher, Tischdecken, Zelte, Eimer, Rüstungen (Linothorax) und vieles mehr hergestellt. Leinen kann in unseren Breitengraden an- gebaut werden. Die Herstellung umfasst zwar viele Arbeitsschritte, konnte früher aber auch ohne Maschinen durchgeführt werden.

Die Faser (Flachs genannt) wurde versponnen und je nach Qualität zu einem festen Stoff oder auch zu einem fast durchsichtigen Schleier verwebt. Leinen nimmt, im Gegensatz zu Wolle, nicht so gut Farbe auf, sodass mit Pflanzenfarben nur blasse Farben erzielt werden konnten. Neben Kochfestigkeit und schmutzabweisenden Eigenschaften sorgt Kleidung aus Leinenstoff bei heißen Temperaturen für einen kühlenden Effekt.4

Hanf

Hanf wurde in der Vergangenheit eben- falls genutzt, um Stoffe daraus herzustellen. Die ersten Funde stammen aus der Zeit um 5500 vor unserer Zeitrechnung aus dem Raum Thüringen. Der Anbau ist aber in den 1980ern wegen seiner berauschenden Wirkstoffe (THC) in Deutschland boten worden.5 Seit 1996 darf Hanf mit ein m niedrigen THC-Gehalt wieder an- gebaut werden und wird vornehmlich zur Herstellung von Seilen, Papier, Dämmstoffen und zu geringen Teilen auch von Textilien verwendet.6

Hanf hat ähnliche Eigenschaften wie Leinen, ist war durch seine Seltenheit deutlich teurer, findet sich aber inzwischen er öfter bei den Naturstoffen.

Baumwolle

Baumwolle wurde seit etwa dem dritten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung getragen7 und hat sich spätestens im 17. Jahrhundert in Europa etabliert.8 Bis heute i t sie die meistgenutzte Faser der Welt,9 wer sich jedoch am europäischen Mittel- alter orientiert, sollte darauf verzichten. Baumwolle wirkt in der Regel sehr modern, ist billig und leicht zu bekommen.

Baumwolle ist, was ihre Eigenschaften an- geht, allen anderen Naturstoffen unterlegen. Leider wird Baumwolle, wenn nicht nach Fairtrade-Standards, häufig unter ausbeuterischen Bedingungen im Ausland produziert. Zudem benötigt Baumwolle in Ernte und Herstellung eine außergewöhnlich große Menge Wasser: Für sechs T- Shirts, etwa ein Kilogramm Stoff, werden mehr als 10.000 Liter gebraucht. Zum Ver- gleich: Leinen benötigt 2500 Liter.10

Seide

Seide ist einer der ältesten Rohstoffe, der zur Kleiderherstellung verwendet wurde. Das Rezept zur Herstellung von Seide stammt aus China und wurde dort unter strengsten Auflagen geheim gehalten. Nur langsam breitete sich die Seide in Richtung Europa aus. Im sechsten Jahrhundert unserer Zeitrechnung begann im Byzantinischen Reich die Seidenproduktion11 und fand über viele weitere Handelswege ihren Weg bis in den skandinavischen Raum, so dass sogar in wikingerzeitlichen Gräbern der Oberschicht byzantinische Seidengewebe gefunden wurden.12

Seide ist nach wie vor recht teuer und sollte eher nicht verwendet werden, es sei denn, es wird eine sehr reiche Person dargestellt.

Bis heute hat sich das Verfahren der Seidengewinnung nicht sehr verändert. Die Kokons der Seidenraupe werden gekocht und der Faden, aus dem der Kokon besteht, abgesponnen und weiterverarbeitet.13

Seide nimmt Pflanzenfarbstoffe besonders gut auf und ergibt wunderschöne Färbungen. Trotz der Leichtigkeit des Gewebes wirkt Seide isolierend gegen Kälte und Wärme14, was aber nur eine Rolle spielt, wenn ein ganzes Kleidungsstück aus Seide gefertigt wird.

 

 

Wollstoff gleich Wollstoff?

Wer Stoff kauft, sollte auch auf die Qualität achten. Das ist nicht immer ganz einfach, denn auch wenn 100 Prozent Wolle auf dem Etikett steht, heißt das nicht, dass auch 100 Prozent Wolle drin sind. Laut EU- Textilkennzeichnungsverordnung, Artikel 7, Absatz 3 dürfen Stoffe bis zu fünf Prozent nichtdeklarierte Faserbeimischungen enthalten. Unsere 100 Prozent Wolle können also durchaus mit Fremdfasern, zum Bei- spiel Polyester, versetzt sein.

Einzig und allein der Begriff Schurwolle ist geschützt. Wer also auf Nummer sicher gehen will, eine reine Naturfaser in der Hand zu halten, sollte zu Schurwolle greifen.

Eine weitere Falle ist der Begriff Walkstoff oder Walkloden. Häufig ist damit kein herrlich gewebter und für historische Darstellungen geeigneter Stoff gemeint, sondern eine gestrickte und recht dicke Ware. Handelt es sich um echten Walkloden, stehen in der Artikelbezeichnung Begriffe wie Tuch, gewebt, Leinwandbindung oder Köperbindung.

Wer die Möglichkeit dazu hat, sollte den Stoff in die Hand nehmen, daran ziehen, reiben und riechen, um ein Gefühl dafür zu bekommen. Wer es genau wissen will,kann auch ein kleines Stückchen anzünden. Riecht der Stoff nach verbranntem Haar, enthält er Wolle oder Seide, schmelzen die Faserenden, enthält er Chemiefasern. Pflanzliche Fasern riechen nach verbranntem Papier. Wer online einkauft, sollte in jedem Fall eine Griffprobe oder ein Stoffmuster anfordern. Die meisten Anbieter bieten dies kostenfrei oder zu einem geringen Preis an.

Was ist mit bunt?

Bei meinen ersten Färbeversuchen habe ich darauf geachtet, dass genug Flecken entstehen, um die nach meinem damaligen Wissensstand authentische Optik zu unterstreichen. Heute muss ich feststellen, dass eine gute pflanzliche Färbung alles andere als stümperhaft, unregelmäßig oder fleckig aussieht und auch im Mittel- alter ohne Probleme möglich war. Wichtig dabei zu wissen: Tierische Fasern (die ja im Grunde nur Haare sind) nehmen Farbe, egal ob pflanzlich oder chemisch, sehr gut auf. Auf pflanzlichen Fasern dagegen wirken Pflanzenfarben blass, chemische Farben erzielen auch dort intensive Färbungen.

Gefärbt wurde mit vielen verschiedenen Färbemitteln, seien es pflanzliche Farbstoffe wie Krappwurzel, Färberwaid oder Pilze oder tierische wie Schildläuse und Purpurschnecken. Jedoch ist nicht alles, was Farbe abgibt, auch für eine nachhaltige Färbung geeignet. Wichtig ist zum einen die Lichtechtheit, also ob ein gefärbter Stoff ausbleicht. Beispielsweise färbt Rote Beete zwar intensiv, verliert jedoch unter Sonneneinstrahlung schnell ihre Farbe. Zum anderen ist die Abriebfestigkeit von Bedeutung, also ob durch Reiben über den Stoff ein anderes Kleidungsstück oder die Haut die Farbe annehmen. Färbungen mit Blauholz neigen beispielsweise sehr stark dazu. Einige Farbstoffe ergeben auf den ersten Blick eine schöne Färbung, verlieren jedoch bei jedem Kontakt mit Feuchtigkeit an Intensität oder bilden Flecken. Diesen Vorgang nennt man Ausbluten.15

Wer selbst färben möchte, kann dies in der Waschmaschine oder dem Topf auf dem Herd tun, egal ob mit Pflanzenfarben (diese gibt es inzwischen auch für die Waschmaschine16) oder mit chemischen Haushaltsfarben aus der Drogerie.

 

 

Die richtige Wahl

Abschließend möchte ich Euch auf den Weg geben, Euch mit dem Thema Stoffauswahl auseinanderzusetzen. Bin ich nur im Sommer und bei gutem Wetter unterwegs oder brauche ich auch mal et- was Warmes oder Wetterbeständiges? Gehört mein Charakter einem hohen Stand an oder brauche ich eher eine nützliche Basic-Ausstattung? Verankere ich meinen Charakter in einem historischen Setting oder darf die Kleidung in Material und Farbe modern wirken?

Auch wenn Wolle auf den ersten Blick teuer erscheint, überwiegen die Vorteile, spätestens wenn der erste Regenguss über die Zelte fegt und Ihr dennoch mit trockenem Hemd in der Taverne ankommt. Und gerade in einem heißen Sommer ist ein kühlendes Leinenkleid gegenüber dem aus Baumwolle viel angenehmer.

Meine persönliche Ausstattung hat sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt und mir kommt nur noch Natur in die Kiste: vom Stoff, über das Garn bis hin zur Ausrüstung. Die Vorteile von natürlichen Stoffen liegen deutlich auf der Hand. Sie sind recyclebar und lassen sich biologisch abbauen. Der Gedanke von Nachhaltigkeit wird auch im Larp immer wichtiger. Wir hinterlassen täglich unsere Spuren, wie abgetragene Kleidung, Müll und Schadstoffe, die nicht mehr von selbst verschwinden. Ich möchte so wenig Spuren wie möglich hinterlassen – im Alltag, wie auch im Larp.

 

Text: Julia Sivers Fotos: Mario Treude

 

Julia Sievers ist Schneidermeisterin und bildet Damenmaßschneider und -schneiderinnen schulisch aus.

Seit 2012 ist sie in Münster (Westfalen) selbstständig im eigenen Atelier und fertigt Braut- und Abendmode sowie Bekleidung für Larp und Reenactment an.

Seit 2004 larpt sie in verschiedenen Genres, angefangen mit klassischer Fantasy über Endzeit, 20er Jahre, Frühmittelalter bis hin zu Battlestar Galactica.

Im Internet ist sie unter www.schneiderei-artgerecht.de zu finden.

 

Quellenangaben:

1                     Vgl. DIN 60000: Textilien, Grundbegriffe, Januar 1969.

2                     Brockhaus: Band 24, S. 335

3                     Encyclopedia Britannica: Band 12, S. 746 f

4                     Hannelore Eberle: Fachwissen Bekleidung, 8. Auflage, Verlag Europa-Lehrmittel, Leipzig: 2005.

5                     BBC: Exklusiv – Die Wahrheit über Cannabis, VOX vom 27. Mai 2009

6                     Verordnung (EG) Nr. 2860/2000 der Kommission vom 27. Dezember 2000

7                     Encayclopedia Britannica, Band 21, S. 33/1b

8                     William Bernstein: A Splendid Exchange – How Trade shaped the World, Atlantic Books, London: 2009.

9                     https://de.statista.com/statistik/daten/stu- die/187494/umfrage/produktion-von-baumwolle- im-jahr-2010-2011-nach-laendern/

10                   Ganz schön durstig: Unglaublicher Wasserverbrauch für Jeans, nachhaltigleben.ch, abgerufen am 20.03.2021

11                   Robert Sabatino Lopez: Silk industry in the Byzantine Empire, Speculum, 1945, S. 1–42

12                   Holger Arbmann: Birka I – Die Gräber, Kungl. Vit- terhets Historie och Antikvitets Akademien, Stockholm: 1943.

13                   Alois Kiessling, Max Matthes: Textil-Fachwörter- buch, Fachverlag Schiele & Schoen, 1993.

14                   Alfred Halscheidt: Textilien von A-Z, Books on Demand, Norderstedt: 2011.

15                   Dorit Berger: Färben mit Pflanzen, ökobuch, Freiburg: 2011.

16                   https://www.livos.de/de/onlineshop/kreative-gestaltung/textilien/

Weitere Artikel:

Wir verwenden Cookies, um eine optimale Lesererfahrung zu ermöglichen.