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Nimmerland

„Uns ist es wichtig, dem Larp ein Stück weit das Spielerische zurückzugeben“

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Kategorie: Im Gespräch News/Blog Sonstiges

Als Anfang des Jahres die dänische Firma "Dziobak Larp Studios" den Betrieb einstellte (wir berichteten in LARPzeit #64), stand die Frage im Raum, ob und wie die beliebten "College-of-Wizardry-Cons" (CoW) weitergeführt werden können.

Die englischsprachigen Spiele der Reihe wurden von der schwedischen Firma Company P übernommen, die deutschsprachigen College-of-Wizardry: Nibelungen-Cons werden vermutlich nicht weitergeführt. Aus den Reihen des ehemaligen Nibelungen-Teams hat sich jedoch eine neue Firma gegründet, die angekündigt hat, künftig wieder deutschsprachige Zauberschul-Events anzubieten … und auch ganz andere Veranstaltungen. Für die LARPzeit sprach Jendrik Bulk mit zwei Vertretern der Nimmerland-Orga, Justine Kiermasch und Oliver Hoffmann, über die Pläne der Gruppe.

LARPzeit: Liebe Nimmerland-Orga, stellt euch doch bitte einmal vor.

Oliver Hoffmann: Wir sind eine fünfköpfige Orga, verteilt über Deutschland und die Schweiz, die aus Julia Becker, unserer Geschäftsführerin, Justine Kiermasch, Cerstin Anger, Dominik Steinmann und mir besteht. Wir sind alle langjährige Larper und haben im April beschlossen, diese Orga zu gründen. Wir sind eine Unternehmergesellschaft (UG) und werden nicht nur Larps, sondern Events im weiteren Sinne anbieten.

LZ: Eine Firma gründet man nicht mit völlig Fremden. Wie habt ihr zusammengefunden?

Justine Kiermasch: Wir haben in der Vergangenheit bereits eher zufällig Larps zusammen gemacht und fanden einander ganz sympathisch. Ich habe schon häufi ger darüber nachgedacht, dass es schön wäre, die vielen Ideen in die Tat umzusetzen, und jetzt haben wir Gelegenheit dazu.

LZ: Aus der Gelegenheit ist dann gleich eine Firma entstanden ...

Oliver: Naja, die Gründung der Firma hat im Grunde zwei Motive. Zum einen hoffen wir, dass wir zumindest ein bisschen Geld mit den Sachen verdienen können. Wobei man deutlich betonen muss, dass Nimmerland für niemanden der Brotjob ist. Wir haben alle sehr unterschiedliche Berufe, in denen wir hauptberuflich arbeiten. Wenn bei Nimmerland was hängen bleibt, ist das schön. Zum anderen hat man bei Veranstaltungen eine Rechtsform, mit der man auftreten kann, um formale Dinge wie das Mieten eines Schlosses nicht als Privatperson leisten zu müssen.

LZ: Eure UG wird also nicht nur Larps veranstalten. Welche weiteren Veranstaltungen wird es geben?

Oliver: Wir haben konkret zwei weitere Dinge ins Auge gefasst. Das eine sind immersive Experiences für Fans bestimmter Autoren oder Erzählwelten. Um ein fiktives Beispiel zu nennen: Zeit im Perry-Rhodan-Kosmos verbringen. Wir könnten uns vorstellen, zusammen mit dem Verlag eine Wochenendveranstaltung für Perry-Rhodan-Fans zu entwickeln. Zum Zweiten denken wir an Seminare für B2B-Kunden (Business-to-Business, Anm. d. Red.), die bei uns lernen, warum man verschiedene Dinge in großen und kleinen Firmen spielerisch besser bewältigen kann.

Justine: Zu den immersiven Experiences werden eventuell Alternate-Reality-Games gehören oder im weitesten Sinne Online-Larps. Hier haben wir bereits einige noch nicht ganz konkrete Ideen, die wir noch nicht vorwegnehmen wollen.

LZ: Ich habe euch auf einem College-of-Wizardry-Spiel in ähnlicher Konstellation kennengelernt. Nun habt ihr euch komplett aus dieser Welt gelöst. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Oliver: Wir wollten zwar die Menschen, die Spaß daran hatten, das Konzept der deutschsprachigen Magieschule zu bespielen, weiter bedienen, wollten aber die Zäsur des CoWs nutzen, um unsere eigene Kreativität einzubringen. Wir behalten das Grundgerüst Magieschule bei, bauen aber ein eigenes Erzählkonstrukt drum herum.

LZ: Welche Erfahrungen nehmt ihr aus den vergangenen Veranstaltungen mit? Welche Techniken haben sich besonders bewährt? Ich denke dabei an Play to lose und Safety-Mechaniken.

Justine: Das Play-to-Lose-Konzept (Spiele, um zu verlieren, Anm. d. Red.) stammt aus dem Nordic-Larp-Bereich, an dem wir uns nicht weiter orientieren wollen. Für Nimbus und andere Spiele folgen wir eher dem aus Italien stammenden Southern Way, der eine etwas andere Idee verfolgt. Wir wollen nicht, dass Spieler absichtlich verlieren. Wir wollen, dass sie einfach ihren Charakter spielen. Sicherheitsmechaniken wird es von Spiel zu Spiel unterschiedliche geben, da wir nicht glauben, dass diese allgemeingültig angewendet werden können.

Oliver: Ich würde gerne noch ergänzen, dass wir eine sehr große Werkzeugkiste haben und kennen, weil wir aus den verschiedensten Larp-Traditionen kommen. Einer der wichtigsten Kernsätze aus dem Southern-Way-Larp-Manifest, das wir für uns angepasst und umgeschrieben haben und das grundsätzlich Teil des Nimmerland-Konzepts ist, ist die Prämisse: Play unsafe. Wir sind der festen Überzeugung, dass das Leben unsicher ist und dass ein Spiel am meisten Spaß macht, wenn man sich trotz der Safe Zone um einen herum etwas traut und vielleicht eigene Grenzen überschreitet, anstatt sich von anderen Teilnehmern tragen zu lassen.

Justine: Damit ist keine körperliche Unsicherheit gemeint. Wir möchten Larp als eine Kunstform nutzen, in der Teilnehmer Grenzen überschreiten, die sie im normalen Leben nicht überschreiten können. Also im Grunde das, wofür Larp prädestiniert ist: sich selbst in anderen Gestalten auszuprobieren.

LZ: Würdet ihr das als eure Spielphilosophie beschreiben?

Oliver: Das ist ein nur Teil unserer Spielphilosophie, aber sicher ein wichtiger.

LZ: Woraus besteht sie noch?

Oliver: Uns ist es wichtig, dem Larp das Spielerische zurückzugeben. Wir beobachten zunehmend eine Entwicklung dahin, vorbereitete Szenen zu spielen. Das Improvisatorische, das für uns bedeutend ist, wurde in den Hintergrund gedrängt. Wir möchten das P für Play in Larp wieder stärker in den Vordergrund rücken. Das dritte Designprinzip ist, dass wir Sachen machen wollen, die bedeutungsvoll sind, die eine tiefere Bedeutungsebene haben. Wie tief man sich aber darauf einlässt, kann jeder Spieler, jede Spielerin für sich selbst entscheiden. Für uns ist Larp eine Kunstform, die co-kreativ gestaltet wird.

 

 

LZ: Ihr habt einige Stichwörter wie Nordic Larp oder Southern Way genannt. Wie beurteilt ihr die Entwicklung von Larp, und wie beeinflusst dies eure Planung?

Oliver: Ich muss ganz ehrlich sagen, mich interessiert das alles gar nicht. Was wir versuchen, ist, Larps so gut, so kunstvoll und so spielenswert zu machen, wie wir können. Dazu räubern wir bei allen Stilformen, die wir kennen, was uns gefällt. Dabei kommt ein Eintopf heraus, der besser schmeckt, als wenn man ihn mit nur einer Zutat kochen würde. Wir wollen nicht besser oder schlechter sein als irgendwas, wir wollen nur gute Spiele machen.

Justine: Wir wollen den Teilnehmern, die zu uns kommen, ein Erlebnis bieten. Es geht darum, unseren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Wenn wir uns an einem Larp-Style orientieren würden, könnten wir unsere eigenen Erwartungen nicht erfüllen. Wir wollen die Diskussion darum, welcher Stil nun der beste ist, vermeiden. Dabei wird schnell vergessen, worum es eigentlich geht: den Teilnehmenden zu helfen, in eine andere Welt abzutauchen.

LZ: Ihr wollt also dem Spiel kein Siegel aufdrücken, sondern eine schöne Welt generieren, in der sich der Spieler wohlfühlt?

Justine: Oder eine nicht so schöne Welt, je nachdem, wie das Spiel so ist. Wichtig ist, dass sich die Person – nicht der Charakter – wohlfühlt. Spielerinnen und Spieler sollen sich wohl genug fühlen, um auch ihre Grenzen zu überschreiten und unsafe zu spielen. Das ist unser Angebot.

LZ: Wie wichtig ist euch der Grad der Immersion? Wie wollt ihr sie erzeugen?

Oliver: Immersion ist das Buzzword, das im Augenblick offenbar genannt werden muss, wenn man Larps designt. Eine unserer Grundregeln lautet: Nicht kühl und distanziert sein. Wir wollen, dass unsere Spielerinnen und Spieler für ihre Charaktere und das Geschehen im Spiel brennen. Um das zu erzeugen, muss ein Charakter eng mit dem Weltgeschehen und dem Plot verknüpft sein. Dazu muss der Wunsch bestehen, den Charakter zu verkörpern.

Justine: Die Location spielt natürlich auch eine Rolle. Wir wollen nicht auf einem x-beliebigen Feld campen und uns dann vorstellen, in einer Cyberpunk-Stadt zu sein. Die richtige Location bauen wir dann entsprechend mit Effekten, Kostümen und NSCs aus, um die Immersion zu vertiefen.

LZ: Wie leitet ihr die Teilnehmer nach der immersiven Spielerfahrung wieder aus eurer Welt hinaus? Gibt es ein Debriefing?

Justine: Bei uns wird es optionale Debriefings geben, aber uns kommt es darauf an, dass die Leute zusammenkommen. Nach dem Spiel eine Form von Afterparty anzubieten, gehört dazu. Sie gibt den Teilnehmern die Gelegenheit, sich außerhalb ihrer Rollen kennenzulernen und über Erlebtes zu sprechen. Das hilft, wieder aus der Spielwelt herauszukommen. Strukturierte Debriefings können sehr nützlich und hilfreich sein. Wir glauben aber nicht, dass sie jedem helfen. Das kommt auf die Person an.

LZ: Wir haben wir es mehrfach angedeutet: Ihr veranstaltet Nimbus – Magie stirbt nie, bei dem ihr eine Magieschule bespielt. Welche Spiele sind noch geplant?

Justine: Wir haben kürzlich ein weiteres Spiel geteasert: Become Human. Es ist stark von dem Playstation-Spiel Detroit: Become Human und Serien wie Humans inspiriert. Es geht um die Frage, was passiert, wenn es lebensechte Androiden gibt, die aussehen wie Menschen. Was passiert, wenn sie ein Bewusstsein entwickeln? Was unterscheidet uns von diesen Maschinen? Was bedeutet Menschlichkeit? Das Spiel findet vom wenn alles klappt Anfang 2021 auf Schloss Moschna in Polen statt.

LZ: Verratet ihr schon, ob man einen Menschen oder Androiden spielt?

Oliver: Die Antwort lautet ja. Es werden beide Fraktionen spielbar sein. Wir laden dazu ein, herauszufinden, was es bedeutet, Macht über andere zu haben. Was macht uns zu Menschen? Was bedeutet es, eine Seele zu haben? Was löst Krieg in einer Person aus? Wir wollen diese Fragen unterschwellig stellen, aber leicht bespielbar machen.

LZ: Warum finden eure bislang angekündigten Spiele in Polen statt? Das ist für eine deutsch-schweizerische Orga eher ungewöhnlich.

Justine: Das liegt vor allem daran, dass Polen Schlösser bietet, die es in dieser Form in Deutschland kaum gibt, geschweige denn, die für eine Larp-Veranstaltung nutzbar sind. Zudem kennen wir die Locations von anderen Spielen sehr gut, und ich stamme aus Polen, was es mir deutlich leichter macht, mit den Betreibern zu kommunizieren.

LZ: Die Welten aus dem Spiel und den Serien spielen in etwas fernerer Zukunft und das Setting ist futuristisch. Wie passt ein mittelalterliches Schloss in diese Szenerie?

Justine: Wir haben natürlich einen Grund dafür und uns etwas dabei gedacht. Der initiale Plot ist, dass sich drei Supermächte treffen. Die Welt steht kurz vor einem Krieg. Dieses Treffen ist die letzte Möglichkeit, eine gemeinsame Basis zu finden und den Krieg zu verhindern. Wenn man sich die Weltgeschichte oder das aktuelle Geschehen anschaut, sind es eben solche historischen Orte, an denen sich die Politiker treffen. Wir denken uns, dass auch in der Zukunft geschichtsträchtige Orte etwas Besonderes und wertvoll sind. Das macht sie zu Orten für diplomatische Treffen. Hinzu kommt, dass das Schloss sehr luxuriös ist und daher extrem gut in das Setting passt.

Oliver: Wir haben überlegt, wie es mit unserer realen Welt weitergeht. In unserer Weltordnung, die wir uns ausgedacht haben, geht es so weiter, dass 2049 (der Zeitpunkt unseres Spiels) Polen, wie heute die Schweiz, neutral ist. Damit bietet sich dieser Ort für eine bilaterale Zusammenkunft an.

 

 

LZ: Worauf müssen die Spieler sich einstellen, spielt ihr nach einem Regelwerk oder DKWDDK?

Oliver: Das ist von Spiel zu Spiel unterschiedlich. Wir möchten nicht mit einem Regelwerk spielen, weil wir finden, dass große, ausgefeilte Regelwerke dem spielerischen und improvisatorischen Charakter von Larp eher im Weg stehen. Daher werden wir beim Nimbus weiter auf das System mit dem unschmeichelhaften Namen Bullshitten setzen. Man denkt sich einfach Zauber aus und wirkt sie. Der Betroffene spielt dann die Reaktion darauf aus, wie er es für richtig hält. Bei Become Human wissen wir es noch nicht genau. Es werden sicherlich technische Hilfsmittel eine Rolle spielen. Es wird aber sicherlich nicht regellastig, denn es soll spiellastig sein.

Justine: Viele nennen es Die einzige Regel ist, es gibt keine Regel. Was für uns nicht ganz zutrifft. Wir sagen Spiele deinen Charakter – spiele einfach. Natürlich haben wir Sicherheitsregeln, Spielmechaniken, also einen Rahmen, den wir vorgeben. Wir wollen das Erleben des Charakters in den Vordergrund stellen.

LZ: Welche Möglichkeiten haben Teilnehmer, eure Welt mitzugestalten? Wie fest ist euer Rahmen gesteckt?

Justine: Das ist wieder unterschiedlich. Wir legen aber auf keinen Fall fest, dass man nur seinen Charakter spielen darf und keinen Einfluss ausüben kann. Insbesondere bei Nimbus wollen wir das fördern und lassen von den NSCs die Welt mitgestalten. Bei Become Human wird es deutlich eingeschränkter, aber wir nehmen niemandem die Möglichkeit, selbst Einfluss auszuüben. Wir geben jedoch bei jedem Spiel die Charaktere vor.

Oliver: Wir wollen keinen Film abspielen lassen, der bei uns im Kopf ist. Es wird immer Möglichkeiten geben, auf die Welt und die Charaktere Einfluss zu nehmen. Wir möchten Geschichten erzählen, in deren großen Rahmen die Spieler ihre kleinen Geschichten erzählen.

LZ: Habt ihr zum Schluss noch eine Botschaft an die Leser der LARPzeit oder die Larp-Gemeinde?

Oliver: Es ist vielleicht keine Nimmerland-Botschaft, es ist eine Oliver-Botschaft. Es gibt keine falsche Art zu larpen. Solange es dir Spaß macht, ist es ein gutes Larp.

Justine: Ich denke auch, wir machen bewusst Larps, hinter denen wir stehen können. Die müssen nicht für jeden was sein. Wenn jemand andere Formen von Larp besser findet, ist das vollkommen in Ordnung. Solange es Spaß macht, ist das cool.

 

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