Geister,Yin-Yang und Pagoden - Chinesische Magie
Mehrere Novizen in goldenen Gewändern rezitieren heilige Texte vor den Gläubigen, während die geladene Versammlung hinter ihnen die Melodie mit Flöten begleitet oder in stiller Andacht teilnimmt. Ein Wahrsager zieht Holzstäbchen mit eingebrannten Schriftzeichen darauf und verkündet mit ernster Miene, dass ein unglückliches Schicksal nur durch die Zahlung einer hohen Geldsumme an den Tempel abgewendet werden kann ...
All dies sind Szenen, die in einem Fantasy-Roman vorkommen könnten, sie spielen sich aber fast tagtäglich in der Realität des heutigen China ab, in dem Magie und Ritual nach langer Zeit wiederbelebt werden sollen. Aus diesem Grund werden Tempel renoviert, Orakel befragt und seriöse Fachleute zu Rate gezogen, wenn es scheinbar Unstimmigkeiten mit Ahnen und Geistern gibt.
Mit ihrer oftmals verwirrenden Mischung aus Tradition und Moderne entfaltet die chinesische Vielzahl an übernatürlichen Wesenheiten und Kräften einen nicht zu leugnenden Reiz auf den europäischen Betrachter. Fernöstliche Weisheit hat die Esoterik-Regale schon seit langem erobert, und Begriffe wie Yin-Yang und Feng Shui sind den meisten hierzulande ebenfalls ein Begriff.
Bewaffnet mit entsprechenden Büchern und Schablonen kann man zum Beispiel nach den Prinzipien des Feng Shui mit Spiegeln und Springbrunnen seine Wohnung energetisch günstiger umgestalten oder an den Elementen ausgerichtete Mahlzeiten kochen. Oder man kann sich im LARP an dem reichhaltigen Angebot verschiedenster Strömungen, Kirchen und Kulte bedienen, um einen exotisch angehauchten Priester oder Magier darzustellen. Denn wie immer gilt: Die reale Welt liefert immer noch die kuriosesten Ideen.
Götter und Gottesdienst
Ein grundlegendes Merkmal der chinesischen Formen der Magie ist, dass übersinnliche Befähigungen in erster Linie als Macht über andere, nichtmenschliche Wesenheiten gesehen werden. Ein Priester oder Magier – die Abgrenzung ist fließend– kann übel wollende Geister austreiben, befiehlt über Götter und Geister, kann Kontakt mit einem himmlischen Staatsapparat aufnehmen oder die übernatürlichen Wesenheiten im Körper anregen, Krankheiten zu vertreiben, Harmonie herzustellen und dem Adepten ein langes Leben zu ermöglichen.
Die ausgesprochen zahlreichen Gottheiten des chinesischen Pantheons bilden ein unübersichtliches Geflecht, in dem drei große Lehren maßgeblich sind: die philosophische Lehre und der Staatskult des weisen Konfuzius, die daoistische Kirche und der Buddhismus. Die Volksreligiosität bietet für jede Gelegenheit und jedes erdenkliche Problem mindestens ein halbes Dutzend zuständiger Wesenheiten. Göttliche Kaiser, verstorbene Berühmtheiten, Bodhisattvas (buddhistische Erleuchtungswesen, die die Vollkommenheit Buddhas anstreben, um sie allen Menschen zuteil werden zu lassen) und Heilige werden oftmals problemlos nebeneinander gestellt. Der himmlische Verwaltungsapparat zeigt sich im Grunde als dem Idealstaat des klassisch chinesischen Denkens nahe verwandt.
Abgestuft in der Hierarchie bilden die unterschiedlichsten Wesenheiten einen Beamtenstaat und verwalten Nachrichten aus der Welt der Sterblichen bis ins kleinste Detail. Von dieser himmlischen Bürokratie hängt das Wohl und Wehe der Lebenden ab, und wer die Fähigkeit hat hier einzugreifen, ist ein gefragter Spezialist. Auch wird durch kleine Opfer – Räucherwerk, Nahrung sowie Spenden an Tempel – versucht, Einfluss auf die Gunst der Geister und Götter zu nehmen.
Solche kleinen Opferrituale für jeden Anlass sind im Spiel leicht einzubringen und erfordern im Grunde nur den Besitz von Räucherwerk und einem Symbol des Gottes. Aus der daoistischen Tradition, in Europa meistens unter dem Namen Tao bekannt, und dem zum Erliegen gekommenen Staatskult lassen sich als Alternative zum Götterabbild die Shenwei entlehnen: hölzerne Tafeln mit der Aufschrift Seelensitz (Shenwei) des XY. Mit wenig Aufwand, einem Einkauf im Baumarkt und der Liste für Zeichen lässt sich so ein Seelensitz problemlos anfertigen. Die im Ritual oder Gebet körperlose Gottheit soll durch die Shenweis erscheinen, sich in diesen niederlassen, um die Opfer anzunehmen und die Gebete zu erhören.
Nach Ende der Zeremonie ist der Seelensitz wieder verwaist und bis zur nächsten Anrufung praktisch nur ein Stück Holz. Dementsprechend wäre auch ein Diebstahl oder eine Zerstörung keine Katastrophe, da ihm selbst keine eigene Macht innewohnt und er problemlos ersetzt werden kann. Für die eigentliche Zeremonie oder das Gebet wird eine Reihe von Verbeugungen durchgeführt (Entweder die rechte Faust in die linke Hand vor der Brust legen und sich aus der Hüfte verneigen oder bei höheren Wesenheiten ein Kniefall oder mit der Stirn den Boden berühren.).
Das Orakel I-Ging
Eine der wichtigsten magischen Handlungen im chinesischen Kulturraum ist die Divination, die Deutung der Zukunft oder des Schicksals. Zahlreiche Methoden werden ausgeübt. Die in Europa bekannteste Form ist I-Ging oder I-King, die im Yijing, dem Buch der Wandlungen, festgehalten wurde. Trotz zahlreicher Ausgaben und Übertragungen bleibt der zweitausend Jahre alte Text oft unverständlich. Die Deutungen, die sich dort finden, lesen sich teilweise wie wahllos aus Zeitungsschnipseln zusammengesetzt und eignen sich gerade deswegen auch im LARP hervorragend für Orakelsprüche!
Die Praxis ist denkbar einfach. Für ein Orakel wurden ursprünglich sechs Schafgarbenhalme aus einem Bündel gezogen, die entweder unversehrt oder geknickt waren. Bei jedem Halm wurde notiert, in welchem Zustand er war: eine gerade Linie für einen geraden Halm, eine durchbrochene für einen geknickten. Ersteres steht für das aktive, männliche und helle Prinzip des Yang, das Zweite für das passive und weibliche Yin.
Die Abfolge von Yang und Yin ergibt eines von 64 möglichen Hexagrammen, das sich wiederum in zwei von acht möglichen Trigrammen auflösen lässt. Diese Hexagramme lassen sich aber auch anders erzeugen, zum Beispiel durch das Werfen dreier Münzen, für den Schaueffekt am besten chinesische Münzen –rund mit einem quadratischen Loch in der Mitte (z.B. erhältlich in Asialäden, im Internet, bei Münzhändlern oder im Bastel und Dekobedarf). Es kommt nicht darauf an, welche der Seiten oben liegt, sondern nur darauf, ob sich die Münzen „einig“ sind, entweder alle die gleiche Seite zeigen oder verschieden liegen. Welche Seite das ist, hat dabei keine Bedeutung, es geht nur um das Ergebnis.
Zeigen sie alle die gleiche Seite, entspricht das einem durchgehenden Strich (Yang), liegen sie unterschiedlich einem durchbrochenen (Yin). Es werden sechs Würfe durchgeführt und die Ergebnisse zu einem Hexagramm zusammengesetzt. Für jede dieser Kombinationen finden sich Denksprüche, Warnungen und Erklärungen, die in ihrer verschachtelten Form mit Anekdoten und Geschichten endlose Deutungsmöglichkeiten bieten. Mit etwas schicker Tarnung wie einem alt wirkenden Umschlag wird aus einem schnöden I-Ging-Taschenbuch und drei Münzen ein äußerst nützliches Instrument für das Orakeln im LARP – vor allem zwar für asiatische Magier, aber sicherlich auch für andere orakelnde Charaktere.
Ritualplätze
Abgesehen von den Shenwei für die Anrufung liefert die chinesische Welt noch zahlreiche andere exotische Ritualpraktiken, wie zum Beispiel Ritualkreise oder besser Ritualquadrate, deren Seiten nach den Himmelsrichtungen ausgerichtet sind. Basierend auf der klassischen chinesischen Kosmologie wird für ein Ritual ein quadratisches Feld wiederum in neun kleinere Quadrate unterteilt. Hierin lassen sich die Wuxing, die chinesischen Elemente, unterbringen. Die Wuxing sind fünf Seinszustände, die sich in einem ewigen Wandel befinden: Aus Holz wird Feuer, aus Feuer Erde, aus Erde Metall, aus Metall Wasser und aus Wasser wieder Holz. In einem zweiten Kreislauf besiegt jeweils ein Element das andere: Wasser besiegt Feuer, Holz besiegt Erde, Feuer besiegt Metall und Erde besiegt Wasser.
Die fünf Wandlungsphasen werden folgendermaßen im Quadrat eingezeichnet: Feuer in den Süden, Metall in den Westen, Wasser in den Norden, Holz in den Osten und Erde in die Mitte. Das kann man durch entsprechende Gegenstände wie eine Schale Wasser oder eine Kerze oder auch Symbole oder Schriftzeichen ausdrücken. Ein weiterer Bestandteil von Ritualräumen ist das Sternbild des Großen Bären, das in China der Große Scheffel genannt wird. Zusammen mit dem Nordstern bildet es das Zentrum des Himmels, von dem aus eine imaginäre Säule durch den Mittelpunkt der Erde verläuft.
Das Anlegen eines Ritualplatzes mit diesem Sternbild als Kern dient der Übung, den Adepten selbst zur Säule zwischen Himmel und Erde zu machen. Das Sternbild soll in einem komplizierten Tanzschritt abgeschritten werden oder der Adept soll sich in Spiralen zum Kern hin bewegen, so dass er sich selbst in die perfekte Position im Mittelpunkt bringt, um Göttern und Geistern zu befehlen.
Yin und Yang
Hell und dunkel, männlich und weiblich, gerade und ungerade ... Yin und Yang sind eine komplizierte Mischung aus Substanz, Komponente des lebenden Menschen und Weltanschauung. Die klassische Kosmologie des Yin und Yang geht davon aus, dass zu Beginn der Schöpfung die Welt sich aufteilte. Zunächst entstand Yang, das klar, hell, männlich und aktiv war, dann formte sich als Gegenpol das Yin, das dunkel, kühl, weiblich und passiv war.
Alles existiert dank der Interaktion diese beiden Gegensätze. Alles von Lebewesen über Gefühle bis hin zu Zahlen lässt sich ihnen zuordnen, aber nichts verkörpert einen Aspekt in gänzlich reiner Form. Allerhöchstens der Himmel und die Erde als Abstrakta könnten als reine Verkörperung betrachtet werden. Abgesehen davon, dass man dies auch als weltanschaulichen Hintergrund für einen Charakter verwenden kann, ist YinYang auch eine Komponente für Ritualplanung und magische Handlungen. Denn im Ablauf von Jahr und Tag wechseln sich Yin und Yang ab, werden stärker oder schwächer, bis es wie bei den Gezeiten zur Umkehr kommt und die Gegenbewegung einsetzt.
Im Jahr werden die Punkte des Gleichstandes und der Extreme durch Sommer- und Wintersonnenwende sowie den Tag-und-Nacht-Gleichen im Frühjahr und Herbst bestimmt. Für einen Tagesablauf finden sich diese Punkte am Mittag,
zu Mitternacht und jeweils um sechs Uhr morgens oder abends. Alle Phasen dazwischen sind Mischungen von ungleich verteiltem Yin und Yang, und alle magischen Handlungen, die mit Erfolg durchgeführt werden sollen, müssen an diese Veränderungen angepasst werden.
Das heißt, alles, was mit einer Beeinflussung des Elements Erde zu tun hat, verrichtet der Magier gegen sechs Uhr abends, wenn Yin sich zu regen beginnt. Alles, das mit den Himmelsaspekten, Sonne, Hitze und mit dem Männlichen an sich zu tun hat, sollte angegangen werden. Hier steht es jedem frei, seine eigenen Tabus und Regeln für einen Charakter aufzustellen, die an den Tagesablauf gekoppelt sein können – auch wenn es vielleicht manchmal schwierig wäre, ein solch starres Konzept an den Plot anzukoppeln.
Das magische Atmen
Qi (gesprochen etwa „tschih“) bedeutet wortwörtlich Dampf oder Atem und wird auch mit Wind, Luft und allem Flüchtigen assoziiert. Die magische Welt Chinas ist voll von verschiedenen Formen von Qi, einer Art Lebensenergie. Das Qi muss fließen können, wenn man Bewegungsübungen wie im Tai Chi durchführt oder meditiert, soviel ist in Europa bekannt. Einzelne Organe erzeugen verschiedene Arten Qi, man kann aber auch verschiedene Formen einatmen und im Körper ansparen.
Spruchzauberei nach den gängigen LARP-Systemen wäre im chinesischen Denken am ehesten eine Manipulation verschiedener Qi-Ströme, Rituale meist die Manipulation überirdischer Wesenheiten. Das heißt, chinesisches Zaubern besteht in erster Linie aus dem Atmen. Der Magier kann bestimmte Qi in sich aufnehmen oder gezielt abgeben. In seinem Körper selber hat er die eigenen Qi und die aus der Umwelt aufgenommenen ausbalanciert und die Kontrolle über ihre Verteilung und Bewegung – neben den Geistern, die ihn im Wohnen und über die er gebietet. Indem man ein bestimmtes Qi aufnimmt, kann man sich selbst dadurch verändern, indem ein Magier bestimmtes Qi auf andere haucht, kann er diese verändern. Aber nur Leute anzuhauchen oder selbst zu atmen, macht noch keine schöne LARP-Darstellung, sondern dient lediglich als Ergänzung oder als exotische Erklärung der magischen Wirkungsweise.
Die ganze Welt aus Qi – all ihre Elemente sind nur eine Art auskristallisierte Form verschiedener Mischungen dieses Urstoffes. In der Kosmologie des mittelalterlichen Daoismus ist das Erste, was das Dao, Ursprung aller Bewegung und Dinge, hervorbringt, ein ursprüngliches erstes Qi, das Yuan Qi (sprich „jüan tschih“). Dieses teilt sich dann in einen hellen und einen dunklen Teil – Yang und Yin – und diese wiederum bringen durch ihre Mischung die fünf angesprochenen Wandlungsphasen hervor. Diese erzeugen durch permanente Mutation und Veränderung die zehntausend Dinge des Seins, also die ganze Welt und auch den Menschen. Magische Heilung bedeutet in diesem Konzept also, einem Kranken oder Verletzten bestimmte Formen von Qi zuzuführen und schädliche zu entfernen.
Der Alchemist
Zu guter Letzt noch ein Absatz zu einem Thema, das zwar keine Magie im eigentlichen Sinne betrifft, aber nah mit ihr verwandt ist: die fernöstliche Variante der Alchemie. Ein wenig bekannter Fakt ist, dass die Alchemie eine chinesische Erfindung ist. Mit ihren Anfängen im chinesischen Mittelalter als Disziplin von daoistischen Adepten hat sie sich über die Seidenstraße bis in den arabischen Raum vorgearbeitet, dort den Namen Alchemie erhalten und schließlich auch in Europa Einzug gehalten.
Das chinesische Wort für Alchemie ist Dan, was Zinnober bedeutet. Aus diesem roten Mineral durch Erhitzen Quecksilber herzustellen, war eine der wichtigsten Künste der alchemistischen Adepten. Der Gedanke hinter der Alchemie Chinas ist, dass bestimmte Wandlungen in der Natur ganz von alleine ablaufen, jedoch in kaum wahrnehmbarer Geschwindigkeit.
So verwandeln sich alle Metalle mit der Zeit in Gold, das die höchste Form des Metalls darstellt, genauso wie viele Tiere sich in ein anderes verwandeln anstatt zu sterben. Ein Ofen wird als Miniatur der Welt benutzt, um diese Prozesse zu beschleunigen. Alchemistisches Gold war das höchste Ziel, denn es stellte die höchste Form der Materie dar und war allein durch seine Existenz in der Lage, Wunder zu wirken, Unsterblichkeit zu verleihen oder den Alchemisten in ein gottgleiches Wesen (Xian; sprich „chien“, helles „ch“ zu Beginn) zu verwandeln. Die Xian sind die Schutzpatrone der Alchemie, und das erklärte Ziel jedes Adepten ist es, sich in ihre Reihen einzugliedern. Im LARP wäre ein chinesisch inspirierter Alchemist demnach religiös motiviert auf seinem Weg zu einer höheren Existenzebene.
Gleichzeitig ist seine Kunst teuer, so dass er reichen Geldgebern sicherlich nicht die Tür vor der Nase zuschlagen wird. Natürlich ist mit diesen Hinweisen und Tipps keine tiefgehende Einführung in die komplexe und faszinierende Welt des chinesischen Glaubens und fernöstliche Magie gegeben. Sie können aber hoffentlich als Ideen, Anregungen und Gedankenanstöße dienen, wie man eine exotische Form der Magie-Ausübung ausgestalten kann.
Text und Bilder: Mháire Stritter
Dieser Artikel ist erschienen bei: LARPzeit.de
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