Als die Einladung zu diesem von alten deutschen Heimatfilmen wie Im weißen Rössl am Wolfgangsee inspirierten Con in meinen Posteingang flatterte, war ich gleichermaßen inspiriert wie skeptisch. Einerseits wirkte es wie eine überaus lustige Idee, diese kitschige Vorlage in ein Larp umzusetzen und dabei immer mal wieder in Gesang auszubrechen. Andererseits steht bei Larps mit lustigen Ideen immer die Gefahr im Raum, dass sie in albernen Klamauk ausarten. Außerdem kann ich gar nicht singen …
Trotzdem reizte mich die Idee, in die scheinbar heile und idyllische Welt dieses Filmgenres einzutauchen und zusammen mit einer guten Freundin eine typische Rollenkonstellation zu bespielen. In unserem Fall waren das ein fast ruinierter Hotelbesitzer und eine erfolgreiche Immobilienspekulantin, die das Hotel in ihren Besitz bringen wollte – also zwei Charaktere, die mit einer tiefen gegenseitigen Abneigung ins Spiel starteten, sich aber, den Konventionen des Genres folgend, am Ende ineinander verliebten.
Auch alle anderen Charaktere waren mit ähnlichen persönlichen Konflikten, aber auch dem Potenzial für ein Happy End ausgestattet. Die Rollen wurden zwar von der Orga geschrieben, aber dennoch hatten alle Teilnehmer im Vorfeld die Möglichkeit, großen Einfluß auf deren Ausgestaltung zu nehmen. Es ging also nicht darum, in eine fest vorgegebene Rolle zu schlüpfen, sondern darum, die eigenen Ideen und Vorstellungen einzubringen, um sich selbst (aber auch den Mitspielern) den größtmöglichen Spielspaß zu ermöglichen. Egal, ob man Feindschaften, Verwandtschaftsbeziehungen oder andere Verknüpfungen gestalten wollte, alles war möglich.
Das Spiel selbst fühlte sich dann tatsächlich an, als würde man in eine andere Zeit eintauchen, in ein sommerliches Hotel, dessen Atmosphäre von Liebe, Leidenschaft und Herzschmerz geprägt war. Dazu trug nicht zuletzt die Location bei, die in ruhiger Alleinlage inmitten einer idyllischen Landschaft lag. Damit strahlte die Umgebung genau die Art von kitschiger Postkartenromantik aus, die man auch in einem Heimatfilm erwarten würde. Ebenfalls klassisch für das Setting war die Beschränkung der möglichen Konflikte, um die Illusion einer heilen Welt nicht zu stören. Es gab Spielregeln, die politische Diskussionen und Weltrettungsplots ausschlossen. Diese Beschränkung schuf eine Atmosphäre, in der die persönlichen Beziehungen und Konflikte der Charaktere im Mittelpunkt standen.
Statt um düstere Geheimnisse, verzwickte Intrigen oder gar einen drohenden Weltuntergang, drehten sich die Probleme der Charaktere vor Ort also um deutlich banalere Angelegenheiten. Die (eingangs erwähnte) verschwundene Juwelenkette hielt meinen armen Hoteldirektor auf Trab, daneben gab es beispielsweise Konflikte um heimliche Liebschaften, überraschend festgestellte Verwandtschaftsverhältnisse oder drohende Auflösungen von Verlobungen. Die betroffenen Charaktere beschäftigten sich scheinbar mit großem Ernst und Drama mit diesen Problemen, die Spieler hinter den Charakteren gingen dagegen merklich locker und schmunzelnd an die Dinge heran.
Nicht nur Politik und Weltuntergangsstimmung waren tabu, auch einige typische gesellschaftliche Regeln der 1960er Jahre wurden nicht bespielt. Die Veranstalter legten großen Wert auf eine offene, positive Gesellschaft, in der Diskriminierungen jeglicher Art keinen Platz hatten. Stattdessen wurde eine kreative und moderne Interpretation von Heimatfilmromantik angestrebt, die beispielsweise gleichgeschlechtliche Liebe oder Polyamorie als selbstverständliche Optionen ermöglichte. Hauptsache, am Ende wartete ein Happy End.
Um sicherzustellen, dass jeder Charakter ein genau solches erleben konnte, wurde eine Aktstruktur genutzt. Zwischen den Akten gab es jeweils eine Unterbrechung, die den Spielern die Möglichkeit gab, sich kurz abzusprechen und Geschichten gemeinsam in die gewünschte Richtung zu lenken.
Ein weiteres wichtiges (und sehr besonderes) Element war zweifellos der Gesang. Alle Teilnehmer wurden ermutigt, wenigstens einmal im Verlauf des Spiels zu singen, wobei es eine große Freiheit in Bezug auf die Songauswahl gab. Anders als in einem klassischen Heimatfilm war man also nicht auf Schlager oder Volksmusik beschränkt. Das Ganze hat (für mich) überraschend gut geklappt. Manche der Lieder, die im Lauf des Spiels dargeboten wurden, verliehen den Szenen tatsächlich eine interessante zusätzliche Dimension und ermöglichten es den Charakteren, ihre Emotionen auf eine ganz besondere Art und Weise auszudrücken. Und wer gar nicht singen wollte, kam vermutlich auch darum herum, denn niemand kontrollierte, wer wann welches Lied geträllert hatte.
Insgesamt war dieses Larp eine amüsante Reise in die heile Welt des Heimatfilms der 1960er Jahre. Romantik, Konflikte und Musik waren auf angenehm leichtfüßige Weise miteinander verbunden und das Spiel hat einfach nur Spaß gemacht.
Wer Lust auf ein ähnliches Abenteuer der gleichen Orga hat, kann sich schon mal das Wochenende vom 15. bis 17. November 2024 freihalten. Musik wird wieder eine wichtige Rolle spielen, allerdings steht diesmal Bewegung im Vordergrund: Ihr neues Projekt mit dem Namen Titanenkinder wird sich um ein Tanz-Ensemble drehen. Nun ja, das wird wieder eine Herausforderung für mich. Tanzen kann ich ungefähr so gut wie singen.
Text: Karsten Dombrowski
Bilder: Christian Horsch, Mary Stormhouse
Dieser Artikel ist erschienen bei:
LARPzeit.de