Wie fängt man mit LARP an – wenn man absolut niemanden kennt, der das Hobby betreibt? Geht das überhaupt? Wir finden: Auf jeden Fall. Unsere Autorin Ragna nimmt uns auf ihre allererste Con mit – das Fest für Hobbits im Bogenwald in Niedersachsen.
Erst im Zug wird mir klar, dass ich es wirklich mache. Live Action Roleplay (kurz: Larp) ist ein Hobby, von dem ich als Fantasy-Narr natürlich schon vor längerer Zeit gehört habe, zu dem mir bislang aber der Zugang fehlte. Nicht, weil es mich nicht interessierte, im Gegenteil. Sondern weil mir die Menschen fehlten, die mich an die Hand nehmen und hineinführen konnten in die zauberhafte Welt des Live Action Rollenspiels. Aber sollte mich das davon abhalten? Auf keinen Fall. Angefüttert mit mehr oder weniger hilfreichen YouTube-Videos und endlosen Wikis zum Thema wählte ich eine Veranstaltung, die mir als Anfängerin vergleichsweise übersichtlich, ja, beschaulich erschien. Das Fest für Hobbits im Larpdorf Bogenwald.
SC oder NSC?
So entscheidet bei mir auch gleich das Schicksal die vieldiskutierte Frage, ob ein Anfänger besser als SC (= Spielercharakter) oder NSC (= Nicht-Spielercharakter) startet. Fürs Hobbit-Fest gibt es nur noch NSC-Plätze. Punkt. Im Tavernen- und/oder Zuber-Team. Kann ja so schwer nicht werden, oder? Ich packe meinen waldgrünen Koffer und springe in den Zug, der mich ins fünf Stunden entfernte Larpdorf bringt (oder zumindest in die Nähe davon). Anreise: Check. Bei der Ankunft lerne ich gleich meine Zuber-Kollegin kennen, deren IT-Name Pilea Plattfuß ist. Ich bin stolz, dass ich immerhin schon einmal mitgekriegt habe, dass IT (= In-Time) alles meint, was im Spiel passiert, und OT (= Out-of-Time) alles außerhalb davon.
Pilea erweist sich als Geschenk der Götter. Als sie hört, dass es nicht nur mein erstes Mal im Bogenwald ist (das für dieses Wochenende den Namen Froschmoorstetten trägt), sondern auch meine erste Con überhaupt, führt sie mich durchs Dorf, zeigt und erklärt mir alles. Unsere Sachen haben wir auf dem Dachboden der Taverne abgeladen, wo wir die nächsten zwei Nächte (sehr wenig) schlafen werden.
Hobbingen in Niedersachsen
Das Dorf lässt mein Hobbit-Herz sofort höherschlagen. Knuffige, mittelalterlich anmutende Häuschen reihen sich dort aneinander. Auf dem Festplatz vor der Taverne steht ein bunt geschmückter Maibaum. Und außerhalb des Dorfs hat sich ein kleines Zeltlager gebildet, natürlich nur mit IT-konformen, stimmungsvollen Glockenzelten.
Auf dem Rückweg zum Festplatz – wir haben noch einen Schlenker durch den angrenzenden Wald gemacht – müssen wir uns beeilen, denn die Ansprache des Bürgermeisters und damit der Start ins Spiel stehen an. Beeilen tut übrigens ganz schön weh, wenn man hobbitgetreu barfuß durch einen Wald voll stachliger Bucheckernhüllen hastet.
In „Klamotte” geworfen haben wir uns bereits – bei mir sind es die Leinen-Chemise, an der ich die letzten Wochen gearbeitet habe, ein moosgrüner Rock und ein beiges Korsett. Als wir dann keuchend am Dorfplatz ankommen, fällt mir fast die Kinnlade herunter. Überall sehe ich gelocktes Haar, spitze Ohren und rosige Wangen; Mieder, Röcke, Strohhüte und Samt-Westen – und jede Menge Pfeifen und nackte Füße. Ein Hobbit am anderen Ende des Platzes sieht original aus wie Meriadoc Merry Brandybock. Am liebsten will ich einen Luftsprung machen.
Weinfußens und Straffgürtel
Aber jetzt fängt Bürgermeister Dotterblüms Rede an. Er thront auf einer Rampe, die aus einem Haus hervorragt, und lässt die beeindruckend haarigen Füße baumeln. Nach ein paar OT-Hinweisen zu Organisation und Klo-Benutzung klatscht er in die Hände und steht auf. Und ich werde in Bilbos Geburtstagsparty in Der Herr der Ringe: Die Gefährten gebeamt, fassungslos.
Meine lieben Hobbits, begrüßt er uns und lupft den Zylinder. Herzlich willkommen in Froschmoorstetten. Viele sind angereist, um das diesjährige Mittjahrsfest zu feiern. Er zieht ein Papier aus der Tasche und entfaltet es. Die Weinfußens und die Moststampfer. Die Straffgürtel und die Liebschnecks. Die Hopfenglücks. Die Zweiblums. Bei jeder Nennung grölen, klatschen und johlen die Hobbits um mich herum, und innerhalb kürzester Zeit mache ich mit.
Sorgt euch nicht, weil das Fest erst morgen ist, beruhigt Bürgermeister Dotterblüm die feierwütigen Lockenköpfe. Heute Abend gibt es selbstverständlich schonmal das Vor-Mittjahrsfest. Das Jubeln ist ohrenbetäubend, Krüge werden in die Luft gehoben. Plötzlich baut sich von irgendwoher eine Band auf; nein, wir sind jetzt IT, ich meine: Musiker. Da ist ein Hobbit mit Gitarre und Hut, und einer mit Trommel, ein anderer spielt Dudelsack. Im nächsten Moment stürmen die Hobbits den Dorfplatz und fangen an zu tanzen. Ich stehe da wie angewurzelt und kann nicht glauben, was passiert. Da zieht mich Pilea mitten ins Getümmel.
Ein (Tavern Ambiance-)Traum wird wahr
Ein paar Stunden später sitzen wir in der feuererhellten Taverne – am Tisch der liebenswürdigen Weinfußens aus Buckelstadt, die ihrer Meinung nach den besten Wein im Auenland herstellen. Ich weiß nicht, ob es der Kerzenschein ist, die liebliche Musik im Hintergrund – Pilea spielt Geige –, das Feuerprasseln oder die glücklichen Gesichter ringsum, aber in dem Augenblick macht bei mir irgendetwas Klick und ich kann mich entspannen. Das hier ist kein Tavern Ambiance-Video bei Youtube, wie ich es mir zuhause gern anmache. Ich bin hier. Mittendrin. Das ist echt. Ich habe es wirklich gemacht und bin hergefahren. Mir wird warm ums Herz, und ich lausche amüsiert Oma Winniferas Wehklage, dass es immer noch unverheiratete Hobbits in der Familie der Weinfußens gibt, die sie hoffentlich an diesem Wochenende unter die Haube bringt.
Von LARP-Novize zu ... naja, immer noch Novize
Am nächsten Morgen quäle ich mich mit steifen Gliedern aus dem Schlafsack. Der Dachboden direkt über einer Taverne ist weder besonders ruhig, noch lässt sich verhindern, dass der Holzrauch durch die Ritzen nach oben zieht und einen im Schlaf umnebelt. Und kalt wird es, sobald das Feuer in den frühen Morgenstunden ausgeht, auch. Verdammt kalt. Hätte ich mir all das denken können? Vielleicht. Habe ich in irgendeiner Weise vorgesorgt? Absolut nicht.
Ich schmeiße mich in meine Gewandung, mache mich frisch und an die Arbeit. Im jugendlichen Leichtsinn meines Hobbit-Ichs Amaranth Weißfuß habe ich mich gestern für die erste Zuber-Schicht gemeldet. Die eigentlich nur beinhaltet, dass man das Feuer für den Ofen anmacht, der dann das Wasser im Zuber heizt. Problem: Ich habe noch nie Feuer gemacht, nirgendwo. Nicht mal am Grill. Ich habe eindeutig noch nicht lang oder oft genug in Fantasy- oder historischen Welten gelebt. “So wie man Feuer macht, halt”, war die kernige Einweisung, die ich gestern von Zuber-Meister Arnie bekam. Wach ist außer mir noch keiner, die Hobbits schlafen nach der durchzechten Nacht aus. Also auch keine Hilfe in Sicht. Ein paar Minuten später habe ich Feuerzeug und Holzwolle gefunden und entzünde ein kleines Flämmchen. So, noch einen Holzklotz drauf. Und dann beten, dass es an bleibt.
Zum Frühstück geselle ich mich hoffnungsvoll zur Familie Moststampfer, die gleich am Dorfplatz lagert. Ich habe meine kümmerliche Wegzehrung aus Käse, Brot und Tomaten mitgebracht (was zur Hölle isst man auf LARPs, und in welcher Verpackung?). Vielleicht tauschen sie gegen ein Stückchen Butter. Ehrlich gesagt, könnte ich auch Teller und Besteck gebrauchen. Familienvater Miro Moststampfer, dessen Locken, soweit ich es beurteilen kann, keine Perücke sind, hat überm Lagerfeuer Rührei zubereitet. Er lädt mich herzlich ein. Großvater Longo Moststampfer regt sich derweil über die verfluchten Weinfuß-Winzergemeinschaft auf, die ihnen das Apfelmostgeschäft kaputtmachen. Ich schlürfe die Johannisbeerlimonade, die er mir eingeschenkt hat, und erwähne lieber nicht, dass ich den Abend in deren fröhlicher Gesellschaft verbracht habe.
Käseradrennen und Kuchenwettessen
Etwas hat sich verändert – heute bewegt sich Amaranth, also mein Hobbit-Ich, schon viel souveräner durchs Dorf und die Unterhaltungen. Es ist einfach, Hobbit zu spielen, wenn alle es tun. Ich komme mit den Musizierenden vom Vortag ins Gespräch und besichtige (neidisch) ihre komfortable, rauchfreie Behausung. Ich besuche die Weinfußens und bewundere den Froschteich nah bei ihrem Lager. Ich nehme an einem mittelalterlichen, also, hobbitmäßigen, Tanzkurs teil.
Und dann kommt der erste offizielle Programmpunkt des Tages. Das Käseradrennen! Ein paar unerschrockene Zweierteams schubsen unter heftigem Jubel der Zuschauenden gelbe Käseräder durch den Wald (barfuß!). Natürlich nicht, ohne dass zwei übermütige junge Straffgürtel zwischendurch ein Seil spannen, um das Rennen zu sabotieren, und weggejagt werden. Vom Kuchenwettessen kriege ich nicht so viel mit, zu viele Hobbits versperren mir in der Taverne die Sicht. Aber Gerüchten nach haben die unmöglichen Straffgürtel auch hier das Spiel gezinkt.
Feuchtfröhliche Hobbitgesellschaft
Langsam werde ich aufgeregt: Bald kommen die ersten Zuber-Gäste! Pilea hat sich in der Zwischenzeit mit einer jungen Weinfuß-Dame, Poppy, verlobt (sehr zur Freude von Oma Winni), und bittet mich, ihre Zuber-Schicht zu übernehmen. Ich habe ungefähr so wenig Ahnung vom Zuber wie vom Feuermachen, aber ich sage Ja. Was soll schon passieren? Da dreht sie sich im Gehen nochmal zu mir um und sagt mit OT-Stimme: Du musst nichts tun, womit du dich nicht wohlfühlst. Ich massiere manchmal. Aber das liegt in deinem eigenen Ermessen.
Damit lässt sie mich stehen, und erst jetzt dämmert mir, dass es in der Tolkien-Lore keine Badeanzüge oder Bikinis gibt. Ich habe mich noch nicht ganz von dieser Erkenntnis erholt, als eine siebenköpfige Horde nackter Hobbits johlend durch den Hintergarten auf mich zurennt. Bitte vorher Füße waschen, sage ich noch mickrig, dann hopsen sie auch schon in den heißen Zuber. Ich sehe deutlich mehr Geschlechtsteile, als ich von diesem Wochenende erwartet hätte. Aber wir sind ja IT, und meine Amaranth Weißfuß ist nach Froschmoorstetten gekommen, um ihre weltfremde Schüchternheit zu überwinden. Als mich eine der Hobbitdamen keck fragt: Massierst du auch?, grinse ich sie an: Hand oder Nacken?
Der Abend endet mit einem – wie sollte es anders sein – üppigen Bankett auf dem Dorfplatz. Käse und Obst, Brot und Braten, Bier, Kekse und Wein ... hungrig ist wohl niemand geblieben. Im Anschluss finden noch zwei Hochzeiten statt, eine davon die der lieben Pilea, die mich kurz vor knapp noch zu ihrer Trauzeugin ernennt. Auch hier fehlen mir IT wie OT die dazugehörigen Kenntnisse, aber ich sage zu. Schlimmer (oder besser) als sieben splitterfasernackte Hobbits, die sich darum reißen, als Nächstes von mir massiert zu werden, kann es ja nicht mehr werden.
Den Morgen darauf herrscht Abschiedsstimmung. Ich begegne Menschen, die nun wieder ganz unserer Zeit gemäß gekleidet sind, und einen Teil von mir macht das traurig. Wo sind Opa Longos fantastische, überbordende Augenbrauen? Wo sind die Blumenmieder und ausladenden Röcke der Hobbitfrauen? Die Pfeifen, und all die nackten haarigen Füße? Während Pilea und ich mit einem Schürhaken in den Öfen herumkratzen und das Kollegium von der Schankmannschaft Böden schrubben, schmiede ich schon Pläne für die nächste Con. Aber erst einmal muss ich nachhause: Den Dreck von meinen Hobbitfüßen waschen und viiiiiiel schlafen.
Text: Ragna Schmidt
Fotos: DIDI Photography
Über die Con
Setting: Ausschließlich Hobbits aus Tolkiens Universum, Festivitäten, Wettkämpfe, kleine in sich geschlossene Plots. Ein Fest für Hobbits bespielt das Wochenende des Mittjahrsfestes voller Festivitäten in dem schönen Dorf Froschmoorstetten im Ostviertel des Auenlandes. Zugelassen werden ausschließlich Hobbits - deswegen ist deine eigentliche Körpergröße wunderbarerweise egal! Der Zeitraum bewegt sich nach der Schlacht der fünf Heere und vor dem Beginn der Handlung des Herrn der Ringe während des dritten Zeitalters. Wir wollen mit euch schmausen, trinken, Klatsch & Tratsch verbreiten und eine Menge lustiger Hobbit-Wettkämpfe wie z.B. dem berühmt-berüchtigten Käseradwettrennen oder dem Kuchen-Wettessen veranstalten.
Dieser Artikel ist erschienen bei:
LARPzeit.de