1825, auf einer kleinen Insel vor der kanadischen Küste: Drei Siedlungen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können, liegen dicht gedrängt und umgeben von urtümlichem Wald. Neben Handel und Politik prägen Intrigen, Verrat, Scharmützel und Schießereien das Zusammenleben der ungleichen Nachbarn. In den Wäldern lauert nicht nur räuberisches Gesindel, sondern weit finsterere Gefahren, die direkt aus Alpträumen entsprungen zu sein scheinen.
Taboo – Blood, Pain and Powder spielte in einem außergewöhnlichen Setting, in dem finstere Rituale und Hexerei auf Musketen und Gehröcke trafen. Umgesetzt wurde diese Idee, weil einige Mitglieder der Tollgund-Orga ursprünglich den Wunsch hatten, selbst einmal ein Spiel zu besuchen, das in einer Welt spielt, die an Fernsehserien wie Taboo und Penny Dreadful oder die Filme Sleepy Hollow und Pakt der Wölfe erinnert – also unsere Welt im 18./19. Jahrhundert, aber mit Mystik! Nach einer kurzen Recherche wurde aber schnell klar, dass ihre Suche erfolglos bleiben würde. Wie Larper nun einmal sind, wurde an einer eigenen Lösung gearbeitet. Sie entwickelten selbst ein entsprechendes Larpkonzept, dessen erste Umsetzung im Mai 2023 stattfand.
Bespielt wurde eine Insel im Nordpazifik im Jahr 1825. Taboo ist ein historisch beeinflusstes Spielkonzept, das mystische Charaktere ebenso wie Hexerei und dunkle Magie zulässt. Der Orga geht es nicht darum, eine Epoche oder Serie korrekt nachzustellen. Serien und Filme dienen der Inspiration. Es geht wie in allen Live-Rollenspielen um das Eintauchen in eine mehr oder weniger bekannte Welt, die von den Teilnehmenden geformt und zum Leben erweckt wird. Freies Spiel, Drama und maximales Spielpotenzial sind den Veranstaltern wichtiger als Logik oder Realismus.
Ein Spiel, drei Orte
Der Großteil der Spielerschaft hatte sich für Charakterkonzepte entschieden, die entsprechend in die Zeit und Spielwelt passten. Eine leichte Sortierung der extremeren Charaktere wurde durch die Aufteilung des Spielgeländes in drei verschiedene Orte realisiert:
Friedheim, Der heilige Hafen, beherbergte nicht nur den Klerus und die Oberschicht der Insel, sondern auch Künstler, Handwerker, Schriftsteller und andere, die sich sicher fühlen wollten. Viele andere Inselbewohner besuchten Friedheim, denn die einzige Taverne des Geländes war dort angesiedelt. Die Spielleitung wies Friedheim als friedlich und sicher aus, was bedeutete, dass dort weder von SL- noch von SC-Seite aus Kämpfe stattfinden durften. Es bot somit eine hervorragende Plattform für Dekadenz, Intrigen, Feiern, Malen, Musizieren – und dafür, das ein oder andere Geschäft abzuschließen.
Ganz anders war James Town, das Pulverfass: Hier war es nie ruhig. Angekündigt als Adel vs. Unterschicht wurde nicht nur diese Idee viel bespielt. James Town war im Grunde ein Spiegel der Gesellschaft dieser Epoche: Der obere Teil war bewohnt vom Adel, von reichen Kaufleuten und feinen Damen, während sich im unteren Teil, dem Barrel, die Diebe, Bettler, Schuhputzer und Ärmeren der Gesellschaft versammelt hatten. Dank der großen Anzahl motivierter Bewohner hatte man hier am stärksten das Gefühl, in einem richtigen Ort zu sein. An jeder Ecke wurde gehandelt, geschuftet, übers Ohr gehauen, gefeiert, gebettelt und alles, was man sich sonst noch vorstellen kann. Prügeleien und Schießereien waren an der Tagesordnung. Wer es in James Town auf die Spitze trieb, wurde ausgestoßen und landete im Moor.
Das war der dritte Ort, das Taboo Moor für die Ausgestoßenen. Während Friedheim und James Town die eher irdischen, historisch passenden Charaktere beherbergten, fand man im Moor vor allem abgedrehte Konzepte wie Hexen, Voodoo-Priester und Ärzte mit latent kannibalistischen Absichten. Auch wenn den Friedheimern und James Townern die Leute aus dem Moor suspekt und unheimlich waren, sah man sie immer wieder bei den Ärzten des Dorfes, um sich wieder zusammenflicken zu lassen. Sogar die gefährlichen Huntsmen kamen zur Behandlung vorbei.
Letztere fand man eigentlich fast immer im Wald zwischen den drei Orten. Die Huntsmen waren eine ständige Bedrohung und sollten deutlich machen, dass die Wälder voller Gefahren waren. Kaum einer schaffte es, nicht mindestens einmal im Wald überfallen zu werden. Und wer lieber sein Geld behalten wollte, suchte den Kampf, versteckte sich – oder floh. Wer die Huntsmen umgehen wollte, wählte den gruseligen Weg: den Geisterpfad! Hier lief man große Gefahr, dem Wahnsinn anheimzufallen, und musste sich bei den Narúnen – oder Seelensaugern – Hilfe holen. Dies war natürlich mit weiteren Gefahren verbunden …
Unterbringung, Spiel und Orga
Die Orte waren mit 180 SCs gut gefüllt. Die Orga wollte das neue Konzept zuerst erproben und sich über die kommenden Veranstaltungen langsam an die optimale Maximalteilnehmerzahl herantasten. Im nächsten Jahr soll es 250 SC-Plätze geben. Die Anzahl der NSCs hält die Spielleitung geheim, damit es für die SCs unberechenbar bleibt, wie viele Gegenspieler es gibt. Und vor allem, wer diese sind. Während der Großteil in Zelten lagerte, bot das Gelände auch feste Hütten mit Duschen und eigenen WCs. Obwohl die Häuser modern eingerichtet sind, störten sie in keiner Weise das Spielgeschehen oder die Immersion. Grundsätzlich sind die Hütten nicht als Spielgebiet ausgewiesen. Wer dennoch den Raum bespielen wollte, dekorierte ihn entsprechend um, so dass er das Gesamtbild nicht störte.
Auch die Zelte waren nicht als Spielgebiet deklariert. Wer dennoch im Zelt Spiel stattfinden lassen wollte, richtete das Zelt dem Ambiente entsprechend ein und gab ihm einen Namen. So war jedem klar, dass dort auch innerhalb des Zeltes gespielt werden durfte.
Insbesondere die Spielangebote der SCs für andere SCs stachen ins Auge. Am auffälligsten waren die gut frequentierten Institutionen der Opiumhöhle und des Bordells. Nicht minder präsent die vielen Händler von Gütern aller Art. Eine Gruppe nahm sich der Versorgung der armen Unterschicht an und kochte jeden Tag eine warme Suppe. Diese und viele weitere Angebote konnte man überall auf dem Gelände entdecken, und sie boten ein umfangreiches und abwechslungsreiches Spielangebot. Einen Hauptplot oder roten Faden gab es nicht und sollte es auch nicht geben. Der Fokus lag klar auf dem Charakterspiel und Miteinander. Natürlich gab es viele kleine Plots zu entdecken und immer wieder durch die SL initiierte Szenen, die aber ab dann vollkommen ungeskriptet abliefen und in Spielerhand lagen.
Die Spielleitung legte großen Wert darauf, die Immersion der SCs nicht zu stören! So waren die SL-Mitglieder selbst stets in einer Rolle, keiner trug Schärpen oder bewegte sich mit gekreuzten Armen über den Platz. Stattdessen nahmen SLs und NSCs teils riesige Umwege in Kauf, um sich ungesehen von einem Ort zum anderen zu bewegen. Verstorbene Huntsmen wurden von ihren Kameraden vom Ort des Geschehens getragen und so außer Sichtweite gebracht. Einen Wellen-NSC-Angrigab es nicht, ebenso wenig das für viele SCs nervende Telling. Selbst aufs Pömpfen, also Bewusstlosschlagen, wurde komplett verzichtet.
Persönliche Gedanken
Auf ein Nicht-Fantasy-Larp zu fahren, bedeutet für mich immer, meine Komfortzone zu verlassen. Leider habe ich sehr viele schlechte Erfahrungen gemacht, von nicht gut ins Spiel kommen wegen eigener Hemmungen oder mangelhafter Organisation der Veranstalter. Besonders der Mangel an bekannten Mitspielern und die Befürchtung, keinen Anschluss zu finden, bereiten mir im Vorfeld einer Veranstaltung viele Sorgen. Beim Taboo haben sich allerdings meine Befürchtungen bereits vor dem Aufbau unseres Zeltes in Luft aufgelöst. Die Moor-Gemeinde empfing jeden Neuankömmling mit offenen Armen.
Mit unseren 17 Leutchen im Ort waren wir uns schnell über die gemeinsame Spielweise einig, und es fühlte sich im Verlauf des Spiels immer mehr nach einer Gruppe an, mit der man schon mehrere Spiele gemeinsam besucht hat. Die relative Abgeschiedenheit des Ortes führte zu einer angenehmen Atmosphäre und einer kleinen Ruheinsel, wo man auch mal durchatmen und entspannen konnte. Einziger Wermutstropfen war der Mangel an Toiletten im Moor. Um zu diesen zu kommen, musste der gesamte Platz überquert werden, und man lief immer Gefahr, in die Arme der Huntsmen zu geraten. Abgesehen davon, dass nächtliche Toilettengänge so doch wirklich nervig waren. Hier wäre ein verstecktes Klo in der Nähe doch wünschenswert gewesen.
Es war schwer auszumachen, welches Spielangebot von der Orga und welches von den Spielern kam. Daher weiß ich nicht, an wen ich mein Lob richten soll. Tatsache war, dass die Spielgebiete voll von Leben und sehr dicht und abwechslungsreich bespielt waren. Die angestrebte und von mir erhoffte Immersion war allgegenwärtig und tiefgehend. Langeweile kam für mich zu keinem Zeitpunkt auf – und an jeder Ecke fand man ein Angebot, das man ohne weiteres annehmen oder umgehen konnte, ohne sich selbst oder andere zu stören. Wirklich jeder Teilnehmende war darauf bedacht, seinem/ihrem Gegenüber ein schönes Spielerlebnis zu schaffen.
Mich hat vor allem die Kreativität und hohe Motivation aller Beteiligten fasziniert. Die Spielleitung hat mit ihrer Plattform ein hervorragendes, dichtes Erlebnis geschaffen, das von den Spielern und NSCs auf jede nur erdenkliche Weise mit Leben gefüllt wurde. Somit hat es das Taboo geschafft, eins meiner wenigen yearlys zu werden, ich werde auch die nächste Tollgund-Veranstaltung besuchen. Mein Dank geht an die Orga und alle Teilnehmenden – es war großartig mit Euch!
Text: Jendrik Bulk
Bilder: Tollgund-Orga
Infos
Taboo – Blood, Pain and Powder ist als Kampagne geplant und soll jährlich stattfinden. Der Termin für 2024 steht bereits fest: 17. bis 20. Mai 2024 (Pfingsten), wieder im CVJM Herbstein. Wer Interesse an dem Spiel hat, kann sich auf der Homepage der Tollgund-Orga näher informieren und für die Veranstaltung anmelden, sobald diese freigeschaltet ist.
Dieser Artikel ist erschienen bei:
LARPzeit.de