Wenn ich in diesem Artikel von Feuer- oder Pulverwaffen schreibe, beziehe mich damit nicht nur auf Musketen, sondern auf alle Arten tragbarer Schwarzpulverwaffen. Das heißt, ich klammere Kanonen und andere Geschütze aus. Ziel ist es, mit diesem Text Gedankenimpulse zu geben und mich mit verschiedenen Vorurteilen auseinanderzusetzen.
Moderne Technologie
Pulverwaffen fanden sich im LARP bisher bereits bei Piraten-, Landsknechts- und vereinzelten barock angehauchten Charakteren. In den letzten drei Jahren kamen aber mehr und mehr Musketiere und entsprechende Pendants (Janitscharen, Strelitzen etc.) auf. Nun sind manchen Leuten selbst Landsknechte bereits zu modern, da sie nicht zu der Vorstellung einer pseudomittelalterlichen Welt passen, die sie von ihrer Fantasy haben.
Die modische und technologische Grenze wird oft beim Spätmittelalter gezogen. Auch in den meisten bekannten Fantasy-Hintergründen wie Herr der Ringe, Das Schwarze Auge, Dungeons and Dragons oder Game of Thrones kommen Pulverwaffen nicht vor. Feuerwaffen fühlen sich daher für viele LARPer zu modern an, auch wenn es die ersten Exemplare bereits im 15. Jahrhundert und sogar davor gab. Für viele sind sie unpassend – und das ist auch in Ordnung. Passen also Feuerwaffen auf eine Wald-und-Wiesen-Con? Das ist eine Entscheidung, die die Orga treffen muss.
Im Zweifelsfall sollte ein Spieler anfragen, ob sich der Veranstalter an Pulverwaffen stört. Wie eigentlich bei allen Themen sollten auch bei diesem Befürworter und Gegner aufeinander zugehen. Zum einen sollte man als Feuerwaffenspieler Verständnis aufbringen, dass diese Technologie nicht überall passend oder erwünscht ist. Im Gegenzug sollte die Gegenseite eine gewisse Toleranz aufbringen, wenn ihnen Pulverwaffen auf einem Con begegnen. Feuerwaffen erfreuen sich immer größerer Beliebtheit, einfach auf stur zu schalten und sie zu verteufeln oder im Kampf zu ignorieren, wird nur Frust generieren.
Eine Frage des Charakterkonzepts
Ein wichtiger Punkt ist darauf zu achten, dass die Waffe auch zum Konzept des Charakters passt. Bei vielen Charakteren steckt sie einfach nur im Gürtel und ist offenbar dazu gedacht, schnell einen Schuss abgeben und dann flüchten zu können. Das stört das Spiel zwar nicht übermäßig, aber wie bei allen anderen Ausrüstungsgegenständen gilt eigentlich auch für Feuerwaffen: die Ausrüstung sollte zum Charakterkonzept passen und nicht wegen scheinbarer Praktikabilität ausgewählt worden sein. Ein oft vorgebrachtes Argument gegen Feuerwaffen ist, dass diese in der Realgeschichte sehr schnell andere Fernkampfwaffen verdrängt haben. Demzufolge müsste auch innerhalb der Spielwelt ein Trend in diese Richtung gehen.
Aber die technologische Entwicklung kann in einem LARP-Hintergrund ganz anderen Gesetzmäßigkeiten folgen. Vielleicht sind Pulverwaffen aus diversen Gründen in-time weit weniger effektiv als in der Realgeschichte? Oder es gibt philosophische Gründe, warum ein Charakter Pulverwaffen ablehnen würde, wie etwa ein Wikinger-Charakter, der seinen Donnergott nicht beleidigen will, da nur dieser Macht über den Donner besitzen sollte? Es lässt sich immer ein Grund finden, warum im LARP gewisse realhistorische Entwicklungen anders verlaufen.
Hohe Effektivität und enormer Schaden
Die manchmal befürchtete, übermäßige Effektivität von Feuerwaffen kann größtenteils mit deren langer Ladezeit entkräftet werden. Bogen- und Armbrustschützen können meist mit einer wesentlich höheren Kadenz feuern, denn sie können so schnell schießen, wie sie den Pfeil/Bolzen einspannen und abfeuern können. Musketiere können beim vollen Ausspielen des Ladevorgangs einen oder zwei Schuss die Minute abgeben. Das schließt natürlich nicht aus, dass Spieler im Eifer eines Gefechts das schöne Ausspielen zugunsten der Effektivität vernachlässigen und den Ladevorgang deutlich abkürzen. Allerdings benötigt schon das Anbringen der Knallkomponente üblicherweise einige Zeit. Daher dürfte ein Bogenschütze immer noch wesentlich schneller schießen können.
Oft wird davon gesprochen, dass Feuerwaffen Rüstungen durchschlugen, Reiter von ihren Pferden rissen und so weiter. Daher wird befürchtet, dass Feuerwaffenspieler genau diese verheerenden Verletzungen ausgespielt sehen wollen. Armbrustbolzen und Pfeile verursachten aber ebenfalls schwere Verletzungen. So manche Zweihandwaffe würde im Nahkampf eine Rüstung mit Leichtigkeit durchstoßen, Gliedmaßen bei entsprechenden Treffern zertrümmern oder abtrennen. Dennoch sind getroffene Charaktere spätestens nach wenigen Stunden wieder kampfbereit. Warum also bei den Feuerwaffen besondere Ansprüche an den Realismus befürchtet werden, ist schwer zu sagen. Gewünscht wird es von Seiten der meisten Feuerwaffenspieler sicherlich nicht.
Projektilloses Schießen
Das Schießen ohne Projektil als Trefferanzeiger ist ein heikles Thema, das schon oft, zum Teil sehr heiß, diskutiert wurde. Die Argumente dagegen sind nachvollziehbar: Wenn kein Trefferindikator vorhanden ist, spielen out-time Können und das Wahrscheinlichkeitsmoment keine Rolle mehr. Man könnte sagen, die Wettkampf-Komponente geht dabei verloren. Der heranstürmende Krieger, auf den eine Muskete abgefeuert wird, muss also selbst abschätzen, beziehungsweise entscheiden, ob er getroffen wurde oder nicht. Bei einem Treffer mit einem LARP-Pfeil stellt sich diese Frage dagegen nicht (zumindest wenn der Getroffene den Aufprall wahrgenommen hat). Andererseits könnte man projektilloses Schießen als Showkampf auf Entfernung verstehen, so wie es aus dem Nahkampf bereits bekannt ist, wenn sich zwei Spieler einfach cineastisch gegenseitig dengeln und es ihnen egal ist, wer gewinnt.
Viele Musketierspieler suchen sich ihre Waffe ja nicht aus Gründen der Effektivität aus oder weil sie schlechte Schützen wären, sondern schlicht weil sie Spaß an der Darstellung mit einer Muskete haben. Das Hantieren mit Bandolier, Pulverflasche und Ladestock ist es, worum es der Mehrheit geht. Ob und wie ein Treffer dann ausgespielt wird, obliegt dem Angespielten. Natürlich freut man sich, wenn das Gegenüber mitspielt und zum Beispiel zumindest zusammenzuckt, weil offenbar gerade eine Kugel knapp an ihm vorbeigeschossen ist. Hauptsache ist aber, es findet Spiel statt. Instant-Tod, der ohnehin kein gutes Zusammenspiel ist, wird von der Mehrheit definitiv nicht gewünscht. Ich habe zwar schon Geschichten von Pappnasen gehört, die anderen ihre Pistole mit Kopfschuss! ins Gesicht gehalten haben. Das ist aber dennoch kein allgemeingültiges Argument gegen Feuerwaffen, denn Pappnasen gibt es in jedem Aspekt des LARPs.
Warum aber überhaupt feuern ohne Projektil? Ich habe mich bei genug juristischen Diskussionen zu diesem Thema beteiligt, um festzustellen, dass das deutsche Waffengesetz in vielen Punkten ebenso streng wie schwammig zu sein scheint. Vereinfacht gesagt, befindet man sich schnell in einer gesetzlichen Grauzone. Musketen und Pistolen sind also wesentlich heikler als Bögen und Armbrüste, möchte man damit auch etwas abfeuern.
Ich kann manche Befürchtung, dass es eine Pistolenschwemme geben wird, in gewisser Weise nachvollziehen. Ja, Steinschlossrepliken sind vergleichsweise günstig und einfach zu bekommen. Dies ist aber schon länger der Fall und obwohl deren Zahl in letzter Zeit gestiegen ist, finden sich im LARP immer noch vergleichsweise wenige davon, zumindest wenn man sie in Relation zum Lieblingsspielzeug des LARPers, dem Schwert, setzt. Gute Repliken von Musketen und das Zubehör kosten dagegen mehrere hundert Euro, was wohl auch dagegen spricht, dass man davon in absehbarer Zeit allzu viele auf Cons finden wird.
Text: Armin Kaar
Dieser Artikel ist erschienen bei:
LARPzeit.de