Wir jagen Monsterhorden durch den Wald, durchkreuzen die Pläne finsterer Nekromanten und bisweilen hindern wir sogar, natürlich im letzten Moment, mächtige Dämonen oder Gottheiten daran, uralte Portale zu durchschreiten und die Welt zu zerstören – an einem einzigen Wochenende. Alles in allem geht es meist darum, epische Abenteuer zu erleben. Action und Adrenalin sind ein gängiger Plotmotor in der Larp-Welt.
Vergleicht man Live-Rollenspiel allerdings mit anderen Medien wie Romanen oder Filmen fällt schnell auf, dass die hier erzählten Geschichten offenbar ein weiteres Spektrum haben. Klar, auch in Büchern kämpfen Helden gegen Monster, und Bruce Willis rettet im Kino, obwohl er aus unzähligen Wunden blutet, gerade noch rechtzeitig den Tag. Aber kaum eine dieser Geschichten kommt ohne eine zusätzliche romantische Komponente aus. Außerdem gibt es auch Unmengen von Geschichten, in denen Action kaum Anteil hat, sondern in denen es um tragische, romantische oder lustige Geschehnisse geht.
Es ist nicht so, dass im klassischen Fantasy-Larp derartiges Spiel nicht erlaubt oder nicht erwünscht wäre, es wird aber seltener direkt von der Orga geplant oder steht im Mittelpunkt der Handlung. Das muss per se nicht schlecht sein, viele Spieler haben ja genau an dem, was im Larp passiert, großen Spaß. Vielleicht wollen sie auch gar nicht irgendwelches gefühlsduselige Spiel mit Menschen, die sie kaum kennen.
Trotzdem könnte es nicht schaden, bisweilen über den Tellerrand zu schauen.
Denn manchmal, wenn eine gespielte Beziehung wirklich funktioniert, können gespielte Gefühle das Spielerlebnis vertiefen – das ganze Setting fühlt sich dann realer an.
Plots rund um Liebe waren für mich die Grundlage für einige der intensivsten Larp-Erfahrungen, sagt Larperin Taisia Kann. Auch die Auswirkungen auf mich als Person finde ich geradezu unglaublich, da es nicht immer einfach ist, das Gehirn davon zu überzeugen, dass alles nur gespielt war. Allerdings gebe es ihrer Erfahrung nach bei den meisten klassischen deutschen Fantasy-Larps bislang nur wenig Raum für derartig durchdringendes Charakterspiel.
Mit jemanden, mit dem man nicht real flirtet, ganz ohne dämliches Teenager-Gekicher verliebt zu spielen, ist allerdings nur dann möglich, wenn ein Spieler offen für ein tieferes Eintauchen in seinen Charakter ist. Derartig starke Spielerlebnisse, bei denen sich die Liebe zwischen zwei Charakteren fast greifbar real anfühlt, brauchen zudem eine ganze Menge Vertrauen in den jeweiligen Mitspieler. Um dieses Vertrauen aufzubauen und aufrechtzuerhalten hilft es, im Vorfeld und in der Rückschau die Erwartungen und Erfahrungen mit dem jeweiligen in-time Partner zu besprechen. Ein Beispiel für ein ganzes Larp, das auf Schwertkämpfe und Monster zugunsten von Drama und Emotionen verzichtet, ist das Spiel Just a little lovin’, ein Sozialdrama aus Norwegen, das bereits mehrfach in unterschiedlichen Ländern wiederholt wurde und es bis ins Feuilleton verschiedener Zeitungen geschafft hat.
Das Larp spielt in den USA der frühen 80er Jahre und handelt vom Ausbruch der AIDS-Krise und deren Einfluss auf die New Yorker Schwulencommunity. Die Angst vor dem Tod, dem eigenen und dem von Freunden und Geliebten, sind die zentralen Motive dieses Spiels.
Aber macht das auch Spaß? Für Flemming H. Jacobsen, der in diesem Jahr zum zweiten Mal eine dänische Umsetzung betreut, steht das außer Frage: Natürlich haben große, kampflastige Larps voller beeindruckender Kostüme und Polsterwaffenkämpfen ihre Berechtigung. Es ist aber nicht die einzige Art von Larp, die es gibt, und einigen Spielern macht sie auch einfach keinen Spaß. Just a Little Lovin’ und ähnliche Spiele verwenden Larp als Medium, um eine Geschichte zu erzählen, die die Teilnehmer auf eine persönliche und intensive Weise einbezieht.
Konzepte wie das Just a little lovin’ sind zwar ein interessantes Beispiel für die vielfältigen Möglichkeiten des Mediums Larp, allerdings kaum massentauglich. Um emotionale Themen ins Spiel einzubinden eignen sich auch weniger radikale Ansätze. Bei vielen Cons mit vorgegebenen Charakteren sind enge Charakterbindungen und damit verknüpfte Plots üblich. Auch die in den letzten Jahren immer beliebteren Larps im Game of Thrones Setting nutzen häufig derartige Verknüpfungen. Im Standard-Fantasy-Larp gibt es ebenfalls immer wieder interessante Ansätze. Arrangierte Ehen, tote Liebschaften, eifersüchtige Ehemänner – das Spektrum möglicher Plots ist weit.
Wenn Liebe also ein wichtiger Bestandteil von Literatur, Film und unserer realen Welt ist, die Möglichkeiten für den Plot vergrößert und derart intensive Erfahrungen ermöglicht … warum wirken manche Larps dann wie Gewaltfantasien, in denen Gefühle keinen Platz haben? Vielleicht liegt es tatsächlich daran, dass es sich gefährlicher anfühlt Liebe als Gewalt zu spielen. Mit brutalen Schwertstreichen ein Monster töten zu müssen (oder dabei getötet zu werden), ist zum Glück eine Erfahrung, die den Spielern in der Realität fremd bleiben wird. Gebrochene Herzen, Eifersucht und Unsicherheit dürften die meisten dagegen aus eigener Erfahrung kennen. Zudem bleibt oft die Unsicherheit, ob sich hinter gespielten Gefühlen nicht doch reale verbergen ...
Text: Karsten Dombrowski
Dieser Artikel ist erschienen bei:
LARPzeit.de